„Wirkliche Veränderung vollzieht sich in Beziehungen…“

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Letztes Wort der Angeklagten UP6 im Hambi9-Prozess am 13. November 2018 vor dem AG Düren:

"Seit unserer Festnahme vor über neun Monaten ist politisch sehr viel um den Wald herum aber auch darüber hinaus passiert.

Die Anordnung von Untersuchungshaft bei Personalienverweigerung für solch geringe Straftatvorwürfe hat für Repressionsbehörden neue Möglichkeiten eröffnet. Das hat deutlich gemacht, dass unsere Widerstandsstrategie der Identitätsverweigerung keine langfristige Option sein wird, aber wir werden andere Wege finden.

Auf der einen Seite steht all dies in einem Kontext der allgemeinen autoritären Zuspitzung in Deutschland. Das neue Polizeigesetz NRWs, das den vielen bereits beschlossenen Verschärfungen anderer Länder in nichts nachsteht, ist nur das offensichtlichste Anzeichen hierfür. Laut diesem Gesetz soll die Zeit der Festnahme zur Personalienfeststellung von 12 Stunden auf 7 Tage ausgeweitet werden und mit Terrorismusverdacht auf einen Monat. Dies gibt der Polizei die Möglichkeit Menschen nach ihrem Belieben festzuhalten.

Darüber hinaus soll es künftig für den Straftatvorwurf keine Rolle mehr spielen, ob polizeiliche Maßnahmen rechtmäßig waren oder nicht. Und da Klagen gegen Polizist*innen selten zu irgendwas führen, räumt das der Polizei praktisch uneingeschränkte Macht ein. Das hat dann selbst aus einem konservativen Verständnis heraus nicht mehr viel mit „Demokratie“ zu tun sondern ähnelt viel eher einem Polizeistaat.
 
Doch nicht nur die exekutive Staatsgewalt befindet sich im Wandel auch in der judikativen finden gerade gravierende Veränderungen statt. Die neue Auslegung des 113ner Widerstandsparagraphen ermöglicht es, Aktivist*innen zu Haftstrafen zu verurteilen, wenn sie sich selbst irgendwo anketten.

Dies ist, meiner Meinung nach, eine der äußersten Formen, um das Nicht-Einverstanden-sein mit bestimmten Verhältnissen auszudrücken. Menschen, die so entschlossen sind, dass sie ihren eigenen Fluchtinstinkt außer Kraft setzen und sich Polizei und Security praktisch ausliefern. Solch eine – von ihrem Wesen her - komplett passive Aktion wird jetzt bereits als Widerstand ausgelegt.

Im Zuge der allgemeinen Diskurs Verschiebung zur „Sicherheitsgewährleistung“ in Deutschland wird der Widerstandsbegriff so umdefiniert, dass er praktisch für jegliche Meinungsverschiedenheit mit Staat und Polizei eingesetzt werden kann. Kein bereitwilliges Mitlaufen zum Gefangenentransporter scheint nun schon ausreichend zu sein.

Die bisherige Spitze dieser neuen Repressionspolitik war die Verurteilung von UP3. Sie* wurde zu neun Monaten Haft bei keiner Vorstrafe und für bloßes Trommeln während einer Barrikaden Räumung im März 2018 verurteilt. „Generalprävention“ wurde diese Maßnahme liebevoll vom Gericht genannt. So wurde UP3 stellvertretend für alle Menschen, die sie noch nicht gekriegt haben und für die, die sich uns in Zukunft anschließen sollten, in den Knast gesteckt. 

Das alles ist ziemlich gruselig und erschreckend, doch ich glaube oder möchte es verstehen als eine Reaktion auf eine wachsende Bewegung. Ich möchte es auch verstehen als Angst der "herrschenden Klasse", als Angst vor einem Macht- und Einflussverlusts. Gezeigt hat sich die Vergrößerung der Bewegung schon in der  breiten solidarischen Reaktion auf unsere Festnahme.

Und überdeutlich wurde sie in den letzten zwei Monaten während der Räumung der Waldbesetzung, in der die Aktivist*nnen im Hambacher Forst in den öffentlichen Medien von „militanten Ökoterrorist*nnen“ zu praktisch „Volksheld*innen“ wurden und so viele Menschen mehr sich unserem Widerstand anschlossen.

Auch möchte ich glauben, dass es uns gelungen ist über das Thema der Braunkohleindustrie auch eine tiefergehende Kritik am kapitalistischen System und ein verstärktes Misstrauen in Staat und Polizei zu etablieren.

Wirkliche Veränderung findet meiner Meinung nach nicht auf institutioneller Ebene statt (dies sind nur die Symptome davon). 

Wirkliche Veränderung vollzieht sich in Beziehungen. Allem voran in den Beziehungen von Menschen untereinander, in der Beziehung die wir zu unserer Umwelt und anderen Lebewesen haben.

Und hier, denke ich, ist viel geschehen die letzter Zeit. Hierfür ist die Waldbesetzung ein ideales Beispiel wie Widerstandsformen und Lebensweisen zusammen gedacht werden können. Die letzten Monate waren nur der Anfang, der erste Schritt.

Trotz aller Repression sind mehr Menschen denn je von der Notwendigkeit einer Veränderung überzeugt und wir werden weiter machen bis alle Menschen, alle Lebewesen die Chance auf ein gutes Leben haben! 

An den Diskursverschiebungen der staatlichen Institution sowie der öffentlichen Meinung wird mehr als deutlich, dass Widerstand und seine Auslegung dynamisch sind und es keine kategorisch eindeutige Einteilung gibt. Daher ist auch die Differenzierung in friedliche und „gewaltvolle“ Aktionen vollkommen unsinnig. Die Repressionsbehörden reagieren auf die Stärke unseres Protests und wir müssen unsere Handlungsstrategien dementsprechend anpassen. Daher sollten wir uns nicht spalten an der Militanzfrage, sondern eher konstruktive Kritik an der Sinnhaftigkeit bestimmter Aktionen üben. Und dabei sollten wir immer im Hinterkopf haben, dass es verschiedenste Perspektiven und dadurch auch unterschiedliche Gründe für bestimmte Handlungen gibt.

Die Vielfältigkeit unseres Widerstands ist kein Problem, sondern unsere Stärke!"