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Folgender Artikel ist aus der Gai Dao Ausgabe vom Juni 2016. Wir finden den Artikel voll knorke und haben uns daher entschieden, ihn auch auf unserer Seite zu veröffentlichen und weiter zu verbreiten.
Ende Gelände – Alles super? Viva LAUtonomia! - Eine solidarische Kritik(*) Das Lausitzer Energie- und Klimacamp Es könnte so schön sein. Als ich am Montag auf dem Lausitzer Energie- und Klimacamp bei Proschim ankomme, scheint die Sonne, es ist warm, fast sommerlich. Ein paar Zelte stehen schon ganz idyllisch um einen kleinen Teich herum. Auf einer Wiese sind bereits viele große Zelte aufgebaut, u.a. ein Infozelt, ein Zirkuszelt für Plena, mehrere Workshopzelte, der Essensbereich, sogar eine Bar. Auch für rechtliche, medizinische und Awareness-Strukturen ist gesorgt. Außerdem gibt es Kompostklos, eigenen Solarstrom und Internet. Ein vielfältiges Programm für die nächsten Tage verspricht Abwechslung: Exkursionen, Workshops rund um Kohle und Klima (und etwas mehr) sowie Aktions- und Erste-Hilfe-Trainings, Podiumsdiskussionen, ein Volleyballturnier zwischen lokalen und Camp-Menschen, Filme, Konzerte und Theater. Die Braunkohle in der Lausitz Ja, es könnte (fast) alles so schön sein,...wenn da nur nicht dieses Loch wäre. Genauer gesagt, die vier Braunkohletagebaue mit dazugehörigen Kraftwerken. Braunkohle ist der dreckigste Energieträger weltweit. Von der angeblichen Energiewende merken Natur, Tier und Mensch hier (und anderswo) noch nichts und das wird sich auch in den nächsten Jahrzehnten nicht ändern. Denn vor allem ist der Abbau und die Verstromung von Braunkohle ein schmutziges Geschäft und das bezieht sich nicht nur auf Feinstaub, CO2, radioaktive Partikel, landschaftliche Zerstörung und Zwangsumsiedlungen. Es geht um Profit und dahinter steht eine riesige Kohle-Lobby, die tief verwurzelt in Konzernen, Behörden und Regierung sitzt. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall, der bisher den Abbau in der Lausitz betrieben hat, plant gerade, den Braunkohlesektor zu verkaufen, weil die schwedische Regierung jetzt nämlich „grün“ ist und ihre CO2-Bilanz deutlich senken will. Und Braunkohle ist, das ist schon bei der schwedischen Regierung angekommen, gar nicht „grün“. Fraglich ist dabei, wie „grün“ es eigentlich ist, die Braunkohlesparte zu verkaufen, anstatt die Tagebaue stillzulegen. Der neue Käufer, das Energieversorgungsunternehmen EPH mit Sitz in Prag, gilt als sehr undurchsichtig und intransparent. Die EPH tritt in Deutschland schon als Eigentümerin (über drei Ecken) der MIBRAG (Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH) in Erscheinung und hat dort bereits den Ruf eines „Heuschrecken-Unternehmens“, d.h. sie ziehen maximale Gewinne in kurzer Zeit aus der Region, ohne die klimatischen und sozialen Folgen zu bedenken. Widerstand gegen Braunkohle und das System, das ihn ermöglicht Von den vier Braunkohlerevieren in Deutschland regt sich vor allem im Rheinland und zunehmend in der Lausitz Widerstand, der zum Teil ähnlich aufgebaut ist. Zum einen haben wir dort die Bürger*inneninitiativen und lokalen Bündnisse, die oftmals schon sehr viele Jahre aktiv sind. Dann gibt es seit 2010 im Rheinland und seit 2011 in der Lausitz die jährlich stattfindenden Klimacamps. Seit 2011 haben sich im Rheinland außerdem dauerhafte, aktivistische Strukturen gegründet, wie das Projekthaus Werkstatt für Aktionen und Alternativen (WAA) in Düren und die Kampagne ausgeCO2hlt, seit 2012 schließlich auch die Wald- und Wiesenbesetzung im Hambacher Forst. Anfang März 2016 wurde der Widerstand in der Lausitz um die Waldbesetzung LAUtonomia bereichert. Aus meiner (anarchistischen) Perspektive sind diese letztgenannten Projekte und Besetzungen besonders wichtig, da sie für mehr stehen als den Braunkohlewiderstand. Durch sie und in ihnen können alternative Lebensentwürfe erprobt und gelebt werden und auch thematisch sind sie weiter gefasst. Der Anti-Braunkohle-Kampf ist dabei ein Betätigungs- und Aktionsfeld, das nicht beliebig, aber eben nicht das einzige und wichtigste ist. Kapitalismus und Staat werden hinterfragt und auch andere Themenfelder wie Patriarchat, Sexismus, binäre Geschlechterordnung, Nationalismus, Tierausbeutung, Militarismus uvm. werden kritisiert und angegriffen. Menschen werden weitergehend politisiert. Zudem sind sie durch ihre lokale Struktur und die unkonventionelleren Aktionsformen ein relevanter Faktor im Widerstand. In den letzten zwei Jahren hinzugekommen ist das überregionale Bündnis Ende Gelände. Trotz meiner klaren Präferenz, empfinde ich die Mischung der Akteur*innen als vielversprechend: Lokal verankerte Menschen, die die Region kennen und schon lange aktiv sind, Aktivist*innen, die dauerhafte Strukturen aufbauen und mit direkten Aktionen die Kohle-Infrastruktur angreifen, deren Kampf sich aber nicht allein gegen den Kohleabbau richtet und organisierte Massenaktionen wie Ende Gelände, die ein großes, häufig auch positives Medieninteresse auf das Thema lenken. Die Vernetzung der Beteiligten könnte aber vielleicht noch ausgebaut werden. Ende Gelände und der Aktionskonsens Ende Gelände stellt sich folgendermaßen vor: „Wir sind ein breiter Zusammenschluss von Menschen aus den Anti-Atom- und Anti-Kohle-Bewegungen, aus den Vorbereitungsgruppen der Klimacamps in Rheinland und Lausitz, von der Waldbesetzung im Hambacher Forst, aus klimapolitischen Graswurzelinitiativen und Bürgerinitiativen, aber auch größeren Umweltorganisationen, aus linken Politgruppen und andere mehr.“ Das Bündnis hatte im letzten Jahr vor allem durch eine Massenaktion des zivilen Ungehorsams auf sich aufmerksam gemacht, bei der über 1000 Aktivist*innen die Kohle-Infrastruktur im Tagebau Garzweiler im Rheinland für mehrere Stunden blockiert hatten. In diesem Jahr wurde zu Aktionstagen vom 13. - 16. Mai mobilisiert, die am Ende des Lausitzer Klimacamps stattfanden. Ende Gelände war außerdem Teil der internationalen Aktionswoche Break Free from Fossil Fuels. Der Aktionskonsens glich im Großen und Ganzen dem vom letzten Jahr. „Wir werden uns ruhig und besonnen verhalten, von uns wird keine Eskalation ausgehen, wir gefährden keine Menschen. Wir werden mit unseren Körpern blockieren und besetzen, wir werden dabei keine Infrastruktur zerstören oder beschädigen. Absperrungen von Polizei oder Werkschutz werden wir durch- oder umfließen und uns auf keine Provokationen einlassen. […] Unsere Aktion richtet sich nicht gegen die Arbeiter*innen von Vattenfall oder gegen die Polizei.“ Außerdem heißt es: „Wir sind solidarisch mit allen, die Widerstand gegen die Klimazerstörung durch Kohlekraftwerke und gegen die sozialen und ökologischen Folgen fossiler Energieversorgung leisten.“ Die Begründung für diesen Aktionskonsens ist nachvollziehbar. Er soll den Zugang für eine möglichst breite und heterogene Masse von Menschen ermöglichen, für Menschen, die möglicherweise kaum Aktionserfahrung haben, für Menschen, die möglichst bestimmte Arten von Repression vermeiden wollen. Dennoch gab es auch Kritik daran, zu der ich später noch komme. Auch in diesem Jahr wurde die Möglichkeit unterstützt, auf der Aktion die Personalien zu verweigern, was bereits im letzten Jahr mehreren hundert Menschen gelungen war. Diese wurden zu großen Teilen nicht einmal vollständig erkennungsdienstlich behandelt. Die Strategie ist aber keine Erfindung von Ende Gelände, sondern wird beispielsweise seit Jahren im Hambacher Forst und neuerdings auch im LAUtonomia-Umfeld angewendet.(1) Die Aktionstage Freitag 13.05 Am Freitag starteten drei Finger (also Splittergruppen) mit insgesamt etwa 1500 Menschen. Es kursierte das Gerücht, dass die Polizei verlauten ließ, sie sei nicht „Babysitter von Vattenfall“. Fast schon witzig - wenn es nicht die Polizei wäre. Nach einer Wanderung von einigen Kilometern durch Wälder, Wiesen und Felder gelangten die Finger an den jeweiligen Zielorten an. Ein Finger besetzte die Schienen an der Verladestation zum Kohlebunker und schließlich auch das Förderband, die anderen beiden gingen in den Tagebau Welzow Süd, wo ein Teil von ihnen einen Bagger „befreite“ und kurzerhand die „Freie Republik Welzow Süd“ ausrief. Sowohl Bagger als auch Verladestation und Schienen blieben über Nacht durch etwa 300 bis 400 Menschen besetzt. Parallel dazu hatten am Freitag LAUtonomia- und RoWo-Aktivist*innen begonnen, die Schienen, durch die das Kraftwerk Schwarze Pumpe vom Tagebau Jänschwalde aus versorgt wird, mit einer 800kg schweren Betonpyramide und Lock-Ons zu blockieren. Deren Banner „Schade, dass das Gleis nicht brennt“ dürfte bei der ein oder anderen Person auf Zustimmung gestoßen sein (ist aber natürlich nicht vereinbar mit dem Aktionskonsens). Eine weitere autonome Kleingruppe hatte die Gleise, die vom Tagebau Nochten zur Schwarzen Pumpe führen, durch Anketten besetzt. Somit waren alle drei Zufahrtswege zum Kraftwerk Schwarze Pumpe - zehntgrößter Verursacher von CO2-Austoß in Europa - blockiert.(2) An den Massenblockadepunkten war die Polizeipräsenz an diesem Freitag sehr gering. Bei den zwei Kleingruppen-Blockaden tauchte aber schnell räumungswillige und gar nicht so freundliche Polizei auf. Die Blockade bei Nochten wurde noch in der Nacht geräumt. Samstag 14.05 und Sonntag 15.05 Am Samstag brachen weitere Finger auf. Zum einen, um die bestehenden Blockaden an der Verladestation und am Bagger zu unterstützen, zum anderen entstand direkt am Kraftwerk Schwarze Pumpe ein zusätzlicher Blockadepunkt mit ungefähr 1000 bis 1500 Menschen. Die LAUtonomia-Pyramide blockierte weiterhin die Zufuhr von Jänschwalde, wurde aber nach etwas mehr als 24h geräumt, wofür das Gleis aufgeflext werden musste. Eine Person kam aufgrund der Personalienverweigerung in U-Haft. Die Leistung des Kraftwerks wurde unterdessen um 80% gedrosselt. Ein schönes Symbol dafür war der Schlot, der aufhörte zu rauchen. Am Kraftwerk Schwarze Pumpe überwanden 400 bis 500 Menschen einen Zaun und stürmten das Kraftwerksgelände. Darauf reagierte die Polizei brutal mit Schlagstock- und Pfefferspray-Einsatz. Etwa 130 Personen wurden in Gewahrsam genommen und von der sehr überforderten Polizei bis zum nächsten Tag festgehalten. Die Blockadepunkte am Bagger, an der Verladestation und am Kraftwerk planten eine (weitere) Übernachtung. Am Abend versammelten sich am Kraftwerk Pro-Braunkohle-Demonstrant*innen und Neonazis, von denen einige hundert später die Aktivist*innen anpöbelten, angriffen und mit Böllern bewarfen. Eine sehr bedrohliche Lage, besonders, da sich in unmittelbarer Nähe auch angekettete Personen befanden, die der Situation nicht so einfach hätten entfliehen können. Am Sonntag wurden die Blockadepunkte noch mit weiteren Menschen verstärkt, doch um 15 Uhr beendete das Bündnis offiziell die Aktion und die meisten zogen sich freiwillig zurück. Etwas unter hundert Menschen blieben jedoch über das offizielle Ende hinaus, u.a. um angekettete Personen zu unterstützen, die schließlich gegen Abend geräumt wurden. Ein Erfolg auf ganzer Linie... Ungefähr 4000 Menschen auf dem Klimacamp, 3500 Menschen beteiligt an den Blockadeaktionen. Über 48h war Kohle-Infrastruktur durchgängig besetzt. Die komplette Abschaltung von Schwarze Pumpe wurde zwar nicht erreicht, aber eine Reduzierung auf 20% Leistung für einen Zeitraum von 36h lässt sich durchaus als Erfolg werten. Viele Menschen haben zuvor mehrere Wochen und Monate leidenschaftlich auf diesen Erfolg hingearbeitet. Mehrere tausend Menschen haben sich ebenso leidenschaftlich, umgeben von fiesem Kohlestaub, die Tage und (sehr kalten) Nächte um die Ohren geschlagen. Der Protest war außerordentlich international aufgestellt, nicht nur, weil er Teil der Break-Free-Aktionswoche war, sondern es konnten Menschen aus Österreich, Belgien, Schweiz, Tschechische Republik, Frankreich, Luxemburg, Niederlanden, Norwegen, Polen, Spanien, Schweden, Großbritannien und weiteren Ländern mobilisiert werden. Rufe und Banner wie „System Change - Not Climate Change“ oder „No Border, No Nation, No Coal Power Station“ oder „Burn Borders, Not Coal!“ lassen erahnen, dass ebenfalls bei einer (größeren?) Anzahl von Menschen verinnerlicht ist, dass Braunkohle nicht das einzige Übel unserer Zeit ist, dass Braunkohleförderung beispielsweise mit dem Kapitalismus zusammenhängt, dass durch den Beitrag zur Klimaerwärmung Fluchtgründe geschaffen werden etc. Ein Kommentar der Polizeidirektion Süd macht noch einmal die Vorteile einer Massenaktion im offenen Gelände deutlich: »Das Gelände ist in der Diagonalen 55 km lang, da sind gestern 1600 Leute eingeflossen. Die verteilen sich auf dem gesamten Gebiet. Wie sollen wir da eingreifen?« Ich gebe zu, diese Erfolge lassen mich nicht kalt. Es erwärmt mein Herz zu sehen, wie Menschen leidenschaftlich für das Thema eintreten, die Bilder verschaffen mir sogar ein bisschen Gänsehaut. Dennoch will sich keine umfassende Euphorie einstellen, einiges trübt die Eindrücke. ...oder vielleicht doch nicht? Mir ist bewusst, dass das Bündnis Ende Gelände keine homogene Masse ist, im Gegenteil habe ich sogar das Gefühl, dass es ein sehr heterogener Zusammenschluss ist. Es gibt Menschen darin, die sich als anarchistisch verstehen oder Menschen, deren Aktionsbereitschaft über den Aktionskonsens hinaus geht, Menschen, die die Kritik teilen und auch äußern bzw. eben nicht so handeln, wie ich es im Folgenden kritisiere. Ich beziehe mich hier eher auf die Außendarstellung, in der, meiner Meinung nach, vieles homogenisiert und glatt gestrichen wird. Wie schon erwähnt, sind Massenaktionen in Zusammenhang mit anderen Aktions- und Organisationsformen ein wesentlicher Bestandteil des Widerstandes. Ich denke aber auch, dass sie oftmals nicht weit über einen symbolischen Status hinaus können. Sie sind nicht auf Langfristigkeit angelegt und durch die Ankündigung als „friedlicher“ Protest sehr berechenbar. Zudem ist es natürlich eine sehr starre und träge Aktionsform. Konsensfindung in solch großen, heterogenen Gruppen ist langwierig. Das soll nicht gegen diese Form sprechen, nur verdeutlichen, dass Aktionen in homogeneren Kleingruppen mobiler und je nach Situation auch erfolgreich(er) sein können. Dass Ende Gelände in diesem Maße erfolgreich war, ist u.a. auch den verschiedenen parallelen Kleingruppenaktionen zu verdanken, die an anderen Orten blockierten oder noch nach dem offiziellen Ende von Ende Gelände dort blieben. Einen Aktionskonsens zu formulieren, ist sehr sinnvoll. Auch für jede Kleingruppe macht es Sinn, vorher den Aktionsrahmen abzugleichen und der sollte an die Bedürfnisse der Gruppe angepasst sein. Menschen, die diesen Konsens nicht teilen, konnten ja einfach nicht an Ende Gelände teilnehmen oder parallel an anderen Orten Aktionen durchführen. Problematisch empfand ich jedoch, dass im Aktionskonsens zwar nicht explizit von einem gewaltfreien oder friedlichen Protest geschrieben wird, allerdings war dies mündlich und in anderen Veröffentlichungen oft der Fall. Dadurch wird, wenn auch unbeabsichtigt, automatisch definiert, was gewalttätig ist und somit illegitim sein soll. Wenn im Fall von Polizeigewalt darauf beharrt wird, dass die Aktivist*innen friedlich waren, dass von ihnen keine Gewalt ausging, stellt sich die Frage: Was, wenn doch? Ist Polizeigewalt dann gerechtfertigt? Distanzierung? Endsolidarisierung? Die Diskussion könnte weiter geführt werden, was Gewalt überhaupt ist. Ist es Gewalt, sich Zugang zu fremden Arbeitsplätzen zu verschaffen, Menschen an ihrer Arbeit zu hindern und möglicherweise zu verängstigen? Ist Sabotage Gewalt? Ob ja oder nein, gibt es Fälle in denen Gewalt legitim ist? Die meisten von uns können diese Fragen sicher für sich beantworten, doch diese Antworten werden eben je nach Person unterschiedlich ausfallen. Begriffe wie gewaltfrei und friedlich sind, meiner Ansicht nach, zu unterschiedlich besetzt, als dass sie wirklich in Frage kommen, um Aktionen zu legitimieren. An dieser Stelle möchte ich noch die Kritik teilen, die durch die KliCaKloZe, die Klimacamp-Klozeitung, auf dem Camp veröffentlicht wurde. Die erste Ausgabe befasste sich mit NGO-Kritik. Ende Gelände arbeitet z.T. mit NGOs zusammen, nahm z.T. auch selber NGO-artige Züge an, vor allem, was die (Presse-)Kommunikation und die Außendarstellung angeht. Besonders die ständige positive Dauerbeschallung ist negativ aufgefallen: Alles ist super! Alles ist ein riesiger Erfolg! Die Polizei ist super deeskalativ! ALLE sind friedlich! ALLE halten sich an den Aktionskonsens! DAS ist super! Währenddessen werden Personen, die die Blockadepunkte versorgen wollen, von der Polizei gepfeffert, währenddessen sitzt Yu bereits in Haft, währenddessen werden Einzelpersonen, Kleingruppen und später ein Blockadepunkt von besorgten Bürgern und Neonazis abgefangen, mit Böllern angegriffen, verprügelt, Menschen kommen ins Krankenhaus, währenddessen verschwindet eine Person von LAUtonomia spurlos. Sicherlich ist es sinnvoll, die Menschenmassen zu motivieren und die Erfolge und Leistungen wertzuschätzen. Aber die negativen Ereignisse nicht, sehr viel später oder nur abgeschwächt herauszugeben, ist nicht akzeptabel. In Ausgabe 2 der KliCaKloZe wurde schließlich auch der kooperative Umgang der Camporganisator*innen mit der „Dorfpolizei“ kritisiert, die jeden Morgen zur Frühstückszeit auf dem Camp vorbei schaute. Eine Angelegenheit, die einem wirklich das Frühstück und noch mehr verderben konnte. Neu ankommende Menschen wurde informiert, dass dies eben nur die netten Dorfpolizisten von nebenan seien und daher keinerlei Aktionen oder Aggressionen gegen diese gezeigt werden sollen. Während beim Aktionskonsens darauf geachtet wurde, dass das Sicherheitsbedürfnis von möglichst vielen Menschen berücksichtigt wird, wurde durch diesen Polizeiumgang konsequent darüber hinweg agiert, dass es Menschen ein sehr unsicheres Gefühl geben kann, wenn Polizei in ihre vermeintlichen Schutzräume eindringen darf. Auch im Fall von Neonazi-Angriffen gab es die Anweisung, ruhig und friedlich zu bleiben und die Polizei zu rufen. Ob Menschen in einer bedrohlichen Situation die Polizei rufen wollen, liegt im persönlichen Ermessen. Ob mensch sich dann aber auf diese verlassen kann, ist sehr fraglich, wie auch die dortigen Situationen gezeigt haben. In einer Pressemitteilung äußert sich die Klimacamp-Orga folgendermaßen: „Wenn die Polizei Notrufe ignoriert, haben wir ein ernstes Problem in diesem Land. Dieses Wochenende hat mein Bild von der Polizei nachhaltig verändert.“ Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen! Jetzt, wenige Tage nach Ende Gelände, befinden sich vier Gefährt*innen in (Untersuchungs-)Haft. Wie war es dazu gekommen? Yu ist eine Aktivist*in, die im Zuge der LAUtonomia-Pyramidenblockade festgenommen wurde. Wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt soll sie nun bis zu ihrem Prozess für einen Monat im Haft bleiben, da aufgrund der Personalienverweigerung Fluchtgefahr bestehe. Tur*tel war am Samstag, dem 14. Mai, also noch während der Aktionstage, spurlos verschwunden. Dies war besonders besorgniserregend, da es in dieser Zeit viele Angriffe durch Pro-Braunkohle-Aktivist*innen, Neonazis und Polizist*innen gab. Trotz Suchaktionen und der Abfrage aller Polizeiwachen wurde erst am 17. Mai bestätigt, dass sich Tur*tel wegen eines offenen Haftbefehls in der JVA Görlitz befindet. Am 18. Mai begann die Polizei mit der Räumung von LAUtonomia, die gewaltsam, fahrlässig und bewusst gefährdend ablief. Es kommen 21 Aktivistis in Gewahrsam, zwei von ihnen bleiben in U-Haft. Sie sind dort wegen einer Lock-On-Aktion, die während Ende Gelände durchgeführt wurde und nach der sie zuerst wieder freigelassen wurden. Da bestand offensichtlich noch keine Fluchtgefahr? Der Vorwurf lautet Störung öffentlicher Betriebe in besonders schwerem Fall. Mensch kann hier ganz deutlich erkennen, wie mit zweierlei Maß gemessen wird. Während Ende-Gelände-Aktivist*innen trotz Verweigerung der Personalien und unter Tatverdacht des schweren Landfriedensbruchs wieder freigelassen wurden und dort scheinbar keine Fluchtgefahr bestand(3), sitzt Yu wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt – einer Standardanklage - für mindestens einen Monat in U-Haft. LAUtonomia kündigt eine Waldwoche an, da vergisst die Polizei, wie deeskalativ sie ja ist und räumt kurzerhand. Zwei Personen werden während Ende Gelände freigelassen, nachdem sie auf der Besetzung angetroffen werden, sieht das schon ganz anders aus. Vielleicht ist das so, weil sie sehen, dass durch die Dauerhaftigkeit und Unkalkulierbarkeit von Projekten wie LAUtonomia tatsächlich potenziell mehr Gefahr besteht für ein System, das den Braunkohleabbau unterstützt. Vielleicht ist es wieder nur die alte Leier von guter Protest - böser Protest. Dies wird zwar vor allem von außen (durch Repressionsorgane) konstruiert, wird aber, meiner Meinung nach, dadurch unterstützt, dass Ende Gelände sehr explizit betont, dass ihr Protest friedlich war. Das konstruiert eine Gegensätzlichkeit von friedlich und gewalttätig, von legitim und illegitim. In einer Pressemitteilung fordert Ende Gelände die Freilassung der Gefangenen. „Wer für eine Aktion im Rahmen von Ende Gelände inhaftiert wird, geht uns alle an. […] Die Ankett-Aktionen und Betonpyramiden waren wichtiger Teil der Aktion zivilen Ungehorsams gegen die Kohlekraft. Sie haben keine Menschen gefährdet und keine Kohleinfrastruktur zerstört und entsprachen damit dem Aktionskonsens von Ende Gelände.“ Dies wirft ganz klar die Frage auf, wie die Äußerung ausgesehen hätte, hätten die Aktionen nicht in den Aktionskonsens gepasst. Es handelt sich auch nicht um eine Solidaritätserklärung im eigentlichen Sinne (das Wort kommt nicht einmal vor), die Räumung von LAUtonomia, dessen Aktionen sicherlich nicht immer dem Aktionskonsens entsprechen würden, wird nur am Rande erwähnt. Die Räumung und die Inhaftierung der Gefährt*innen machen mich wütend und traurig. Was wir (vorerst) tun können, ist den Gefangenen Briefe zu schreiben (macht das echt) und Soliaktionen zu organisieren. Was bleibt zum Schluss zu sagen: Ich hoffe Ende Gelände kann weiterhin Massen mobilisieren und dazu beitragen, den Anti-Braunkohle-Widerstand auszuweiten. Ich hoffe aber auch, dass sie sich in Sachen Solidarität zukünftig mehr trauen und sich dafür etwas zurückhalten zu definieren, was friedlich (und somit im Gegensatz gewaltsam) und was legitim (und in Abgrenzung dazu illegitim) ist. Weniger Homogenisierung und mehr Mut zur Heterogenität wären ebenfalls nicht schlecht. Und vielleicht ist auch nicht immer ALLES super? Zudem können wir aufmerksam gespannt sein, ob sich die Ankündigung von LAUtonomia bewahrheitet: „LAUtonomia ist ein langfristiges Projekt. Wir sind hierher gekommen, um zu bleiben, und langfristig emanzipatorische Politik zu machen. Deshalb steht für uns fest: Nach einer Räumung werden wir wieder besetzen!“ Und wenn Ende Gelände eine „Spur der Verwüstung“ hinterlassen hat(4), was macht dann eigentlich Vattenfall in der Lausitz (oder RWE im Rheinland), was hat die Polizei nach der Räumung von LAUtonomia hinterlassen? (*)Ich schreibe hier als Person, die sich dem Braunkohle-Widerstand im Rheinland und vor allem der Hambacher-Forst-Besetzung seit einigen Jahren verbunden fühlt, die sich als Anarchist*in definiert und nicht als Teil von Ende Gelände sieht. Dieser Beitrag soll die Erfolge von Ende Gelände würdigen, aber dennoch meine subjektive Kritik zum Ausdruck bringen. (1) Dort ist es inzwischen üblich, die Betreffenden für mehrere Wochen in Untersuchungshaft zu behalten. Besonders, wenn mensch länger in den Strukturen aktiv bleiben möchte, spricht dennoch einiges für die Praxis, allein schon um Unterlassungsklagen zu vermeiden. Für eine Massenaktion bietet es sich insofern an, da es die Polizeiarbeit verlangsamt, sie damit überfordert sind, mehrere hundert Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln oder für längere Zeit festzuhalten und für die betreffenden Personen wahrscheinlich keine juristischen Konsequenzen folgen. Dennoch kann es auch wichtig für Menschen sein, ihre Personalien abzugeben, da der Polizeikontakt ansonsten weitaus unangenehmer werden kann, dafür müssen diese Personen juristische Konsequenzen fürchten. Eine individuelle Entscheidung also. Ende Gelände Statement zur Personalienverweigerung: Link. (2) Kohlekraftwerke verfügen i.d.R. über einen Kohlebunker, der das Kraftwerk auch im Fall von Lieferschwierigkeiten noch versorgen kann. Soweit mir bekannt reichen die Vorräte der Schwarzen Pumpe für etwa 24h bei maximalem Betrieb und entsprechend länger bei reduziertem Betrieb. In der Lausitz ist es im Gegensatz zum Rheinland außerdem üblich, dass der Tagebaubetrieb nicht rund um die Uhr stattfindet. Das Kraftwerk muss allerdings durchgängig laufen. Nach einer Abschaltung wäre es frühestens nach einem Tag wieder einsatzbereit. (3) Deren Freilassung befürworte ich natürlich sehr. Ich will damit auch nicht die Behandlung der während Ende Gelände Festgenommenen herunterspielen, die in keiner Weise akzeptabel war. (4) Laut Vattenfall sei angeblich ein Schaden von mehreren hunderttausend Euro entstanden. Es wurden angeblich manipulative Anlagen an den Schienen angebracht, Signalanlagen manipuliert, eine Bombenattrappe versteckt. Die Kohleverladungsbrücke sei schwer beschädigt worden etc. SZ und Vattenfall.