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Am Dienstag 10.April 2018 um 10 Uhr findet vor dem Verwaltungsgericht Köln ein Prozess gegen eine Polizeimaßnahme statt. Die Klägerin hielt sich im April 2015 im Hambacher Forst auf, um bei der "Igel"-Räumung am sog. Jesus Point deeskalierend zu vermitteln - die Polizei hingegen hinderte sie durch das Aussprechen eines Platzverweises und der Androhung einer Ingewahrsamnahme daran, überhaupt die Barrikade zu erreichen. Jetzt, 3 Jahre später, soll in einer mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit des Platzverweises entschieden werden. Offiziell richtet sich die Klage gegen das Land NRW, welches durch die zuständige Polizeibehörde vertreten wird. Widersprüchliche Aussagen der Polizei Im Vorfeld der Verhandlung liegen mehrere Stellungnahmen der vor Ort beteiligten Polizeibeamten und Einsatzleitung vor. So sei „zur Verhinderung der Störung, wie sie bereits in der Vergangenheit mehrfach vorgekommen sind, der Einsatzort für die Dauer der Maßnahmen durch Kräfte der Polizei gesperrt“ worden. 6 - 10 Personen, „die aufgrund ihres Erscheinungsbildes der Besetzerszene Hambacher Forst zugeordnet werden konnten“, seien angehalten, die Bewegung in Richtung „Igel“ untersagt und ein Platzverweis „für die Dauer der Maßnahme für den kompletten Wald in [s]einem Rücken“ ausgesprochen worden. Bei den sog. Folgemaßnahmen gehen die Polizeizeugenberichte auseinander: - Laut einem ersten Bericht soll die Androhung einer Ingewahrsamnahme als Rechtsfolge der Missachtung gefolgt sein, da die Personen den Polizeibeamt*innen „ständig ins Wort“ gefallen seien. Keine zielführende Kommunikation sei möglich gewesen und somit weitere Kommunikation durch die Beamt*innen auf ein Minimum reduziert worden. - Laut einem zweiten Bericht drohte die Beamt*in zu keiner Zeit Ingewahrsamnahme oder sonstige Folgemaßnahmen an und war fest davon überzeugt, die „Situation kommunikativ lösen zu können“. - Auch war sich eine*r der Zeug*innen nicht sicher, zu welcher Situation die Stellungnahme gewünscht war. In der Akte liest sich das: „da [ihm/ihr] aufgrund der Sachverhaltsschilderung eine eindeutige Zuordnung nicht abschließend möglich ist, wird im folgenden zu beiden Sachverhalten eine Stellungnahme beigefügt.“ Die Schilderung der Polizei allerdings widerspricht einem (zeitlich nach den Stellungnahmen von der Polizei vor Gericht eingereichten) Video, das die Erteilung des Platzverweises dokumentiert: Die Klägerin plus Begleitung sind auf dem Waldweg Richtung „Igel“, treffen auf drei Polizisten in voller Montur, die den Weg versperrten und mitteilten, dass „der Wald gesperrt“ sei. Auf die Nachfrage der Klägerin für wen „der Wald gesperrt“ sei, kommen widersprüchliche Antworten - dass der ganze Wald nur für die Klägerin und ihre Begleitung gesperrt sei und gleichzeitig für alle. Fragen oder Erklärungen seitens der Klägerin werden durch die Polizei nur noch mit Ansagen wie „Passen Sie auf: Wir brauchen darüber nicht zu diskutieren. Sie wissen alles, was Sie wissen müssen“ sowie „Wir brauchen jetzt hier nicht großartig rumdiskutieren was war…wi…wie auch immer. Sie bekommen nen Platzverweis. Wenn Sie dem nicht nachkommen, gehen Se ins Gewahrsam. Ganz einfach. Haben Sie das verstanden?“ abgeschnitten, wobei diese Frage wohl eher hypothetisch gemeint war, da jeder weitere Kommunikation seitens Polizei durch ein „Nein, es wird hier nicht weiter gefragt, sondern Ihr bekommt n Platzverweis und dann ist Ende.“ und allen erdenklichen Formen der Versagung („Nein“, „Negativ“,…) abgewiegelt wird. Weitere Beamte kommen hinzu und bauen sich hinter den anordnenden Beamten auf, sodass die Klägerin davon ausging, die Ingewahrsamnahme stehe kurz bevor. Auch von Polizeiseite wurde ein Video gedreht, das allerdings zeitlich erst nach dem ersten Video beginnt und damit weitestgehend uninteressant für die Frage der Rechtmäßigkeit des Platzverweises ist. Amüsant ist es schon, so ist auf dem Polizeivideo deutlich zu hören, wie die filmende Person durch die Polizeibeamt*innen aufgefordert wird, das Filmen zu unterlassen – man selbst würde ja auch nicht filmen… Das Polizeivideo wurde laut Aktenvermerk durch die Polizei zu Schulungsmaßnahmen asserviert – das ist vermutlich der einzige Grund der passte, damit die Polizei das Video rechtmäßig noch besitzen darf. Warum die Klage? Das Verwaltungsgericht hatte die Klage aufgrund eines Eilantrages durch den Anwalt der Klägerin vorläufig durch Beschluss für unbegründet erklärt und die Kosten der Klägerin auferlegt. Zeitgleich hat es deren Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die Klage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. Im gleichen Beschluss hieß es jedoch auch, dass die Klägerin wahrscheinlich nicht die wirtschaftlichen Mittel zur Verfügung habe, sich den Prozess zu leisten – offensichtlich wollte sich das Gericht nicht inhaltlich damit beschäftigen. Warum ist überhaupt Klage erhoben wurden? Wir erwarten nicht, dass das Gericht die Klage positiv bescheidet - und das brauchen wir auch nicht. Vielmehr geht es darum, das Mächteungleichgewicht in unserer Gesellschaft und die Gefahren und Ungerechtigkeiten, die daraus folgen, sichtbarer zu machen. Während der Polizei meist grundsätzlich unterstellt wird, deeskalativ zu handeln, wird den Menschen, die dem äußeren Erscheinen nach der Besetzungsszene zugeordnet werden, Gewaltbereitschaft und Provokation vorgeworfen. Mit der Klage erklären wir auch: Die Polizei bricht immer wieder ihre eigenen Gesetze, ob das Gericht die Klage positiv oder negativ entscheidet ist dafür ohne Belang. Die Polizei wird auch weiter willkürlich handeln, Platzverweise ohne Rechtsgrundlage ausstellen, Menschen mit fadenscheinigen Begründungen einsperren, Linienbusse entführen um alle zu durchsuchen und Personalien zu kontrollieren oder der Besetzungsszene Zugeordnete verprügeln. In der Situation selbst haben wir fast keine offiziell befürwortete Handhabe – egal wie Gerichte hinterher darüber entscheiden, ob sie die Willkür trotz gegenteiliger Beweise decken um das Image der Polizei nicht anzukratzen oder es doch mal zuviel war. Die Zukunft Und wie wird das erst in Zukunft aussehen, wenn der Polizei nach dem Vorhaben der neuen Landesregierung NRW immer mehr Rechte zugestanden werden? Das neue Polizeigesetz NRW, von der Landesregierung ins Parlament eingebracht als sogenanntes "Sicherheitspaket 1", soll es ermöglichen eine Person, "von der wir wissen, dass sie sehr gefährlich ist" - NRW Innenminister Reul - schnellstmöglich und so lange wie noch nie festzusetzen. Die Novelle soll den Polizeibeamt*innen nun die Möglichkeit geben, Gefährder*innen in den sogenannten Unterbringungsgewahrsam zu verfrachten und zwar nicht mehr nur 48 Stunden, sondern bis zu einem Monat. Und das in einem Staat, in welchem offiziell der*die Bürger*in erst mal alles darf, es sei denn, es ist verboten und umgekehrt der Staat nichts darf, es sei denn, er ist dazu legitimiert. Die Neuerungen des Polizeigesetzes schaffen neue Grundlagen für einen tiefgreifenden Machtmissbrauch und massive Grundrechtseingriffe, vorwiegend um das „gesunde Rechtsempfinden des Volkes“ *1) zu beruhigen. Purer Reaktionismus gegen … ja wen oder was eigentlich? Und warum? Mit welchem Hintergrund? Reul meint zwar zu kritisieren, dass „Nordrhein – Westfalen […] auf der Deutschlandkarte bis heute leider ein blinder Fleck“ sei, was rechtssichere Handlungsgrundlagen und freie Handhabe der Polizei anbelange, aber zu welchem Preis ist Sicherheit eigentlich gegen Freiheit aufzuwiegen? Und wie weit darf Machtmissbrauch noch unterstützt und anerkannt werden? So sieht also ein "kluges und zeitgemäßes Update des Polizeigesetzes" aus - danke Herr Reul für diese Erleuchtung. Wenn die nächsten „Schulungsvideos“ der Polizei gedreht werden, dann muss sich die wehklagende Bevölkerung nicht mehr sorgen, dass mögliche Gefährder*innen aus der Besetzerszene weiterhin die Straßen – oder Bäume – unsicher machen, der Polizei werden einfach noch mehr Befugnisse zugesprochen, damit sie gleich alle Einsperren oder dauerhaft des Waldes verweisen darf…
*1) Das „gesunde Volksempfinden“ stammt aus Paragraf 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung vom 28. Juni 1935. Da hieß es: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient.“ Dies war die Anordnung der so genannten unbegrenzten Analogie im Strafrecht, also das definitive Ende jedes rechtsstaatlichen Strafsystems. Deshalb wurde das berühmte „gesunde Volksempfinden“ durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946 als typisch nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben.