Knasttagebuch von Finn

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Finn saß vom 18.- 28.März 2017 in der JVA Köln -Ossendorf in Untersuchungshaft. In dieser Zeit hat Finn ein Knasttagebuch geschrieben, das wir jetzt veröffentlichen.

Finn #1

20.März 2017


Hallo ihr da draußen,

heute ist der 3. volle Tag im Knast für mich. Vielleicht gleich zu Anfang: Das Ganze hier ist zwar total absurd und sinnlos, aber nicht so schlimm wie ich es mir vorgestellt habe.

Ok, das Essen ist mangelhaft, die Zellen hässlich, die Fenster natürlich vergittert und die sozialen Bedingungen zum kotzen. 
Aber schließlich ist das hier ein Knast und somit extra dafür gemacht um Leute fertig zu machen.

Umso interessanter ist es für mich zu beobachten, wie leicht sich einzelne Wächter_innen provoziert fühlen. 

Vorallem Diskussionen, die über „Ist halt so“ hinaus gehen, scheinen äußerst unbeliebt zu sein. Aber das ist bei Leuten in Uniform ja ein erwartbares Verhalten. Und wie üblich müssen sie dann ihr Ego mit Lautstärke und Ton retten.

Aber zum Glück hatte ich genug Zeit mich mental darauf vorzubereiten, dass es irgendwann dazu kommen kann. Jetzt sitze ich hier und freue mich über all die schönen Erinnerungen  an draußen.
Ich versuche meinen Humor nicht zu verlieren. Gleich beim reinkommen, hat mich ein Schließer angebrüllt "Hier wird nicht gelacht!". Von wegen: Meinen Hass könnt ihr haben, mein Lachen kriegt ihr nie!
  
[Das Zitat ist folgendermaßen zustande gekommen: Als ich von 2 Bullen zum Knast gebracht wurde, wollte der Schließer der mich angenommen hat witzig sein. “Ihr habt der aber schon alle Steine und Banner abgenommen, oder? Höhöhö!” 
Seine Kollegen fanden das weniger amüsant und haben einfach nicht reagiert. Der Schließer dachte wohl, die Bullen hätten ihn
akustisch nicht verstanden und wiederholte seinen Satz. Sein Kollege meinte nur genervt “Is gut, ich habs verstanden.” 
In seinem Ego gekränkt, musste der Schließer mich anmotzen. Er zeigte auf die Tür und befahl in harschem Ton: “Eintreten!”
Die ganze Situation war so skuril dass ich grinsen musste und ihn gefragt habe, ob ich denn die Tür eintreten sollte. Daraufhin hat der Schließer angefangen rum zu brüllen “Hier wird nicht gelacht”]

Vor meinem Fenster ist der winzige Innenhof, in dem wir (Haus 14) auch unseren täglich, 1-stündigen Auslauf haben. Es stehen sogar vier Bäumchen darin. Und eine kleine Hundehütte die wohl für die Enten, die hier leben ist. 

Bevor ich wusste, dass das Hüttchen für die Enten ist habe ich mich gefragt welcher kleine Hund denn da reinpassen soll. Ein JVA-Dackel?  Gerade wäre ich gerne eine Ente, denn die fliegen einfach über die Mauern und den Natodraht hinweg.

Im Umschluss (d.h. wenn Gefangene sich gegenseitig in den Zellen besuchen dürfen) war ich mit 2 anderen in einer Zelle im 2.Stock zu Besuch. Das sind echt wertvolle Minuten, sowohl gegen das Gefühl des Alleinseins als auch um Abläufe kennen zu lernen. Denn die Wachteln halten es teilweise nicht für notwendig, wichtige Infos weiter zu geben. Wenn du niemanden hast, die dir erklärt woher du Antragsformulare kriegst (Anträge sind DAS Zauberwort) oder wann Umschluss ist, haste halt Pech gehabt.

Gestern konnte ich auch endlich Bücher ausleihen. Mit ein bisschen Lesestoff lassen sich die vielen Stunden in  der Zelle gleich besser ertragen.

Der Tee den es hier jeden Morgen gibt, schmeckt ein bisschen nach Wiese: zu wenig Teeblätter, rauchig und ein bisschen schaler Geschmack im Wasser, so als wäre der Kanister nicht ganz sauber gewesen.

Eine weitere Beobachtung hier drinnen ist, dass in diesem abgeschotteten  und isolierten Umfeld kleine Sachen an Bedeutung gewinnen. 

Andauernde Top-Gesprächsthemen sind wie viele Seiten Brief jemand geschrieben hat, wann der 2-wöchentliche Einkauf kommt und welche Wachtel grade Dienst hat. 
Das ist ja auch ein logisches Verhalten, Details werden interessant wenn sonst keine Gesprächsthemen von außen hinein gelangen. 
So wie ich wohl sonst nie in einen Brief schreiben würde dass ich mir einen Kalender gemalt habe, so tu ich es jetzt. Einfach weil mir langweilig ist.

Die Fenster sind sogar doppelt gesichert.  Hinter den üblichen massiven  Gitterstäben  ist noch ein feinmaschigeres Gitter  angebracht. Das heiß leider auch, dass es nicht möglich ist die Arme hinaus zu strecken um ein bissen Sonne auf die Haut zu bekommen. 

Da ich noch unter 21 bin, zählt das noch als Jugendhaft. Eigentlich bin ich ganz froh darum , denn so habe ich eine Einzelzelle. 
Zwar ist das auch mit Einsamkeit verbunden, aber so kann ich wenigstens im Kreis laufen und rumhüpfen, ohne anderen auf die Nerven zu gehen. 
Insgesamt 6 kleine Schritte ist die Zelle lang.

Gerade warten alle auf den Umschluss. Einige stehen am Fenster und unterhalten sich lautstark quer über den Hof.  Das Gerede hallt zwischen den hohen, roten Backsteinmauern wider und vermengt sich zu einem Durcheinander von verschiedenen Stimmen, Sprachen und Radiomusik. 
Die Fenster sind mit die wichtigste Kommunikationsmöglichkeit. Briefe werden vorgelesen, Beziehungen diskutiert und über Richter_innen und Schließer_innen gelästert. 

Gestern musste ich den obligatorischen Arztbesuch und die offizielle Aufnahmeprozedur durchlaufen. Der Arztbesuch dauerte ca. Zehn Min und bestand aus ein paar Fragen: “Nehmen Sie Drogen?” -”Ja, Kaffee!”
“Wie groß sind Sie?” - “Weiß nicht.”, - “Schätzen Sie einfach”
Ich bin froh keine ärztliche Unterstützung zu brauchen. 

Die Aufnahme wurde von einer unmotivierten Beamtin durchgeführt. Ich saß auf einem Drehstuhl und bin ausgiebig Karussel gefahren. Irgentwann war sie gernervt davon dass die Drehgeschwindigkeit zu schnell war um ein Foto von meinem Gesicht zu machen. 
“Das grenzt ja schon an passiven widerstand” war ihr entrüsteter Kommentar.
Dann sollte ich irgendwelche Zettel unterschreiben. Als ich diese erstmal durchlesen wollte, ist sie ungeduldig geworden und meinte nur dass da ohnehin nichts relevantes drinstände. 
“Ok, dann muss ichs ja auch nicht unterschreiben.”

Das ganze dauerte noch eine Weile an. Beim gehen konnte sie sich dem Kommentar, dass ich mit einer so bockigen Einstellung im Knast nicht weit kommen würde, nicht verkneifen. Stimmt, weiter als bis zur nächstem Mauer werde ich wohl nicht kommen. 
  
Heute Abend ist ein Konzert im Knast.  Eigentlich will ich da hingehen. 
Aber dafür hätte ich heute Morgen einen Antrag abgeben müssen. Dazu bräuchte ich aber meine Buchnummer. Und der Beamte, der im Dienst war hatte keine Lust mir die zu verraten. 

Damit war die Antragszeit vorbei und für mich gibt’s heute Abend wohl keine Musik (und keine Abwechslung vom Anblick der Zelle). Tja, das nennt sich wohl Willkür.…

Ich frage mich ob die Leute, die in einer JVA arbeiten damit glücklich sind. Macht Macht wirklich glücklich?

Mit dem Gesichtsausdruck und Tonfall mit dem einige Schließer hier rumrennen, zweifle ich sehr daran. Denen scheint einfach alles egal zu sein, Hauptsache die Abläufe gehen nach Plan.
Und klar kann es ihnen egal sein., ob Knastis zu Veranstalltungen können oder auf Zelle verschimmeln. 

Klar kann es ihnen egal sein, wenn Schwangere (teilweise schon im 6. Monat) seit Monaten inhaftiert sind und keinen Arzttermin bekommen. 
Klar kann es ihnen egal sein, ob schlechtes Essen und Bewegungsmangel Körper langfristig kaputt machen kann.
Aber selbst innerhalb dieses beschissenen System sollten Leute mit einer solch arroganten Haltung keine Verantwortung für das Wohlergehen anderer haben.
Mal abgesehen davon dass dieses gesamte Knastsystem ohnehin keinesfalls sinnvoll ist. 
Es gibt genug Beispiele, die zeigen dass es auch aus Sicht eines Staates keinen oder kaum Zweck hat, Menschen in eine solche Situation zu bringen.

Wenn jemand auf Drogen in den Knast kommt, ist sie VIELLEICHT nach ein paar Wochen oder Monaten Entzug wieder „clean“. Und kommt dann zurück in die gleichen, oder teils noch schwierigeren, Lebensumstände. Wie soll das weitergehen? 
Rückfälle sind doch vorprogrammiert.

Gleiches Muster bei Eigentumsdelikten oder Zugfahren ohne Ticket. Wer vorher zu wenig Geld hat, dem wird auch nachher keine andere Möglichkeit bleiben als wieder die gleichen Verhaltensweisen zu nutzen.

Wir brauchen keine Knäste!
Wir brauchen eine solidarische Gesellschaft, die selbst Verantwortung übernimmt und nicht auf Chefs, Uniformen, Repression und Präsidenten aufbaut!
Mein eigener Aufenthalt in der JVA zeigt mir ganz deutlich und praktisch all die Kritikpunkte am Knastsystem auf, die ich vorher „nur“ theoretisch kannte.

Ich freue mich euch wiederzusehen, ihr lieben, großartigen Menschen!
Hoffentlich bald oder wann auch immer.....
All die Gedanken an euch und über die Welt, die ich in mir trage, können dafür sorgen dass es den „Autoritäten“ nicht gelingt mich fertig zu machen!

love & rage 

PS:
Falls das eine Anti-Knast-Kundgebung heute Abend war, dann habe ich euch gehört! (Aber da ich NO JUSTICE, NO PEACE... verstanden habe, gehe ich ,mal davon aus dass es eine war!)
Und Feuerwerk habe ich gesehn!

Es ist einfach unbeschreiblich wie viel Kraft mir diese paar Minuten gegeben haben! Ich habe euch auch geantwortet, weiß aber nicht ob das laut genug war. 

Wahnsinn! Mir ist das Adrenalin durch den Körper geschossen und für den Moment war ich wahrscheinlich der glücklichste Mensch in diesem ganzen verdammten Knast! Mein Herz klopft immernoch wie verrückt!

Noch Minuten nachdem die Sprechchöre verstummt waren habe ich am Fenster gestanden und mein Ohr an die Gitterstäbe gedrückt um noch ein paar Millimeter näher bei euch zu sein (ging nicht besonders weit, aber egal).
Jetzt wo ich selbst spüre wie UNFASSBAR gut das tut so eine Demo zu hören, während mensch hinter Gittern sitzt, bin ich NOCH froher über jede Minute die Menschen lautstark vor Knästen verbringen!!
Ich freue mich darauf selbst wieder auf der anderen Seite der Mauern zu stehen und meine Wut rausschreien zu können!
Leute, passt auch euch auf!
Ich hab euch lieb!

PPS:
Ich durfte doch zum Konzert. Ausnahme der Wächterin, weil ich ja neu bin.
Also, Quizfrage: Beschreibe anhand eines Beispiels das Adjektiv „skurril“!
Wie wärs mit:
Aus 5 verschiedenen Häusern der „JVA für Frauen“ sitzen Gefangene zusammen in einem Saal, der ein bisschen an eine Schul-Aula erinnert. Sämtlich Altersklassen über 14 sind vertreten und es herrscht ein riesiges Durcheinander aus Begrüßungen und Gesprächen.

Und dann kommt so ein Hipster auf die Bühne und singt kitschige Lieder mit Gitarrenbegleitung. Mir hat sich vor allem die Frage gestellt: Weiß der überhaupt wo er grade ist? 
Denn in einem Knast Sätze zu sagen wie „ich hoffe ihr seid beim nächsten Konzert wieder hier!“ klingen doch sehr zynisch. 
Aber trotz Fettnäpfchen ist das Publikum ziemlich abgegangen! Es wurde laut mitgesungen (mal mehr mal weniger sauber), geklatscht und gepfiffen. 

Es war wunderschön zu sehen, wie Gefangene, die sich wohl lange nicht gesehen haben in die Arme gefallen sind. Und mitten in einer Sitzreihe ist eine aufgestanden und hat zur Musik getanzt.
Alle anderen saßen und dutzende Augenpaare habe sie angestarrt. Aber das war ihr egal, denn der Tanz war ihr Tanz und nicht um irgendwem zu gefallen. 
Ich hoffe so sehr, dass der Knast so starke und wundervolle Menschen wie sie es zu sein scheint nicht zerbricht! 

Damit es dann aber nicht ZU VIEL Spaß macht war ein Aggro-Schließer dabei, der rumgebrüllt und mit Einschluss gedroht hat wenn Leute sich unterhalten haben. Da sich die restlichen Uniformierten aber zurückgehalten haben, wirkte er wie ein überforderter Lehrer vor einer Klasse aufgedrehter 
8-Klässerinnen.

Auch wenn die Musik nicht sonderlich gut war, war es trotzdem eine schöne Abwechslung vom schleichenden Alltag des Knastes. 
Auf dem Rückweg zu den Häusern gabs plötzlich Alarm und alle Wachteln sind wie von einer Hornisse gestochen in eine Richtung gerannt. Was passiert ist wurde  zum Betriebsgeheimnis erklärt, von daher weiß ich nichts darüber.



21. März 2017

Der Schlüssel dreht sich im Schloss und die Stahlriegel werden geöffnet, so laut dass ich die Schließer_innen schon von weitem höre, während sie andere Zellen aufschließen.  Jedes Mal wenn  dieses Geräusch erklingt, schalte ich unwillkürlich in Alarmbereitschaft und Adrenalin rauscht durch meine Blutbahnen. Dann wird die Tür aufgerissen und ein meist unfreundliches, harsches „Guten Morgen, Frühstück!“ ertönt, bevor das gleiche Spiel beim nächsten „Haftraum“ (offizieller Begriff für Zelle) weitergeht. 
Guten Morgen?
Ein Blick zu den Gittern am Fenstern genügt um daraus einen schlechten Morgen zu machen.

Dann gehe ich hinaus auf den Gang und hole Tee. 
Wenn ich dann am Fenster stehe und meinen Tee trinke  betrachte ich die Gänseblümchen und den Löwenzahn, der auf dem Grasstreifen wächst. Das sieht zwar hübsch aus, ist aber auch traurig. Denn so nah die Wiese auch ist, so bleibt sie trotzdem unerreichbar. Und auch wenn der Vogelgesang deutlich hörbar ist, so bin ich trotzdem in einer scheinbar anderen Welt gefangen und atme die gesiebte Luft.

Morgen kriegen alle ihre Einkäufe. Bzw. fast alle. Denn wegen irgendeinem bürokratischen Kunststück kann ich nicht mal Briefmarken kaufen. 

Das hat damit zu tun, dass ich erst Freitagabend rein gekommen bin. Freitag Mittag werden die Bestellzettel verteilt und obwohl die erst Montag abgegeben werden ist es nicht möglich dass ich auch noch einen bekomme. Im Klartext heißt das dass ich erst in 14 Tagen Briefe abschicken kann. 

Zwar hat mir eine Mitgefangene eine Briefmarke gegeben, aber ich warte trotzdem mit abschicken, denn dann kann diese Briefmarke maximal genutzt werden wenn der Brief noch ein bisschen länger ist. Ein Hoch auf die Bürokratie und ihre fiesen Nebenwirkungen(?)!

Ich  bin wirklich froh dass eine recht solidarische Grundstimmung unter den Gefangenen herrscht! 

Vorhin war ich beim Umschluss in einer Zelle, auf deren Klodeckel ich einen Hambi-Sticker entdeckt habe. Daraufhin habe ich erstmal erklären müssen was der Hambacher Forst ist und warum ich Anarchistin bin. 
 
Bisher habe ich nicht besonders viel explizit darüber geredet. Meistens höre ich den Gesprächen nur zu ohne irgendwas zu sagen. Aber ich denke dass sich das noch ändern wird wenn ich die anderem besser kennengelernt habe. 

Da ich kein Radio habe freue ich mich immer wenn andere am offenen Fenster Musik hören. Vor allem wenn das Lied „Supergirl“ von AnnaNaklab läuft, wird die Lautstärke aufgedreht und aus den vielen Fenstern ertönen  Stimmen die laut mitsingen. Dieses Lied ist ein bisschen zur „unserem“ Lied geworden.  Das sind epische Momente.

You can see in her eyes
That no one is her chain
She's my girl, my supergirl

And then she'd say, "It's okay
I got lost on the way
But I'm a supergirl
And supergirls don't cry"

And then she'd say, "It's alright
I got home late last night
But I'm a supergirl
And supergirls just fly"

Then she'd laugh
The night time into day
Pushing her fear further away

And then she'd shout down the line
Tell me she's got no more time
'Cause she's a supergirl
And supergirls don't hide


Aber ich würde schon gerne wissen was so passiert, in der Welt draußen. Die Schließer meinten jedoch dass es keine Radios mehr gäbe.


Übrigens habe ich mit einer Mitgefangenen über das Feuerwerk gestern Abend geredet. Sie hat erzählt dass sie ebenfalls am Fenster stand und geweint hat. Geweint weils so schön war und sie an viele Momente in Freiheit erinnert hat. Und weils so traurig war hier drinnen fest zu sitzen.


22. März 2017

Grade stehen einige an den Fenstern und unterhalten sich über ihre Einkäufe. Das ist ein bisschen fies, weil sie über Kuchen, Kippen, Salzstangen und Briefmarken reden. 

Ich stehe mit gemischen Gefühlen am Fenster. Denn auf der einen Seite hätte ich auch gerne eine Zigarette, Briefmarken und  etwas zu naschen. Auf der anderen Seite nervt mich das. Denn hier drinnen wird mensch auf Konsum trainiert. 

Der 14-tägige Einkauf wird zu etwas wünschenswertem und alle warten tagelang darauf. Der Mangel an allem außer Weißbrot und Magerine und das gleichförmige Grau der Tage erzeugt eine Konsumhaltung, die mir gegen den Strich geht.

Vielleicht ist es besser dass ich an diesem Konsumevent gar nicht teilnehmen kann.


Heute scheint sogar die Sonne. „Mein“ Fenster zeigt nach Süden und ich habe den Tisch so hingestellt dass ich daraufsitzend die sonnigste Stelle der Zelle nutzen kann. 

In der geöffneten Fensterscheibe sehe ich mein eigens Spiegelbild. Das sieht seltsam aus., weil die Schatten der doppelten Vergitterung auf mich fallen. 
Es wirkt als hätte ich Karo-Muster auf den Armen und dem Gesicht gemalt.

Jeder Quadratzentimeter Haut der von der Sonne beschienen wir tut gut. Und auch wenn ich natürlich lieber draußen spazieren gehen würde, hebt der Sonnenschein meine Stimmung etwas an.

Eben gab es Mittagessen und 30 minuten Aufschluss. Dann wandeln sich die leeren tristen Gänge in ein lautes Durcheinander. Es wird herrumgelaufen und gerufen, Dinge werden getauscht, geteilt oder verliehen. Ich bin positiv überrascht von der Solidariät, mit der Dinge aufgeteilt werden! 

Eine Mitgefangene hat mir Drehzeug für Kippen gegeben und in einer Zelle in der es einen Wasserkocher gibt steht eine ganze Gruppe die sich nacheinander Tee kochen.

Eigentlich ist es üblich dass „Neue“ von den Schließern Tabak geliehen bekommen, den sie zurückgeben wenn sie selbst welchen kaufen konnten. Dieser wird dann an die Nächste weitergegeben.
Als ich danach gefragt habe, meinte die Wachtel aber dass ich keinen bekomme. Die Begründung war dass die Person die Tabak „zurückgegeben“ hat gefragt hat, ob sie mir den direkt geben kann. Und Absprachen unter Häftlingen seien nicht erlaubt.(!)

Was mich daran ärgert ist nicht dass ich keinen Tabak bekommen habe, sondern dass ich das Gefühl habe, die Schließerin hat sich einfach die nächstbeste Begründung ausgedacht.

Es sind diese vielen kleinen Dinge wie Briefmarken, Buchnummer, Radio und jetzt eben Tabak bei denen einfach gesagt wird: “Nö kriegst du nicht,“ die mich wütend machen. 

Es ist diese Machtlosigkeit, dass Wächter_innen die sinnlosesten Regelungen durchsetzten . Einfach weil sie es können. 
Und mehr als denken oder sagen : „das ist jetzt aber eine schlechte Argumentation“ , kann ich nicht machen.
Zwar hilft es mir, dass ich eine politische Analyse von Knast, Staat und Polizei habe. 
Denn somit nehme ich die Repression  nicht persönlich und verzweifle nicht daran. Dennoch, obwohl dieses Verhalten genau in meine Kritik des Systems hineinpasst, macht es mich trotzdem wütend.

Und zwar deshalb, weil ich diesen Menschen, vielleicht 10 Jahre älter als ich, vor mir sehe. Und ich frage mich warum Menschen die persönliche Entscheidung treffen willkürlich Macht auszuüben. Eigentlich macht es mich eher traurig. Weil ich mir eine andere Welt wünsche , aber immer wieder sehe ich wie Menschen einer solidarischen und freien Gesellschaft so konträr gegenüber stehen.

Das Wetter ist wunderschön und ich sehne mich danach raus zu gehen und frei zu sein.

Vor meinem Fenster, in einem winzigen Blumenbeet war ein Entennest. Jetzt sind die Küken geschlüpft und watscheln über das Gras. Die Kleinen sind so unfassbar süß und einer der wenigen lebensfrohen Anblicke hier.


24. März 2017

Eine Woche Knast ist jetzt vorbei, aber es erscheint mir viel länger. 
Auch wenn ich mich erst über das sonnige Wetter gefreut habe deprimiert es mich jetzt eher. 60 Minuten Auslauf gehen viel zu schnell vorbei und Freitag, Samstag und Sonntag ist auch die Umschlusszeit reduziert, das heißt noch mehr grau-weiße Zellenwände zum anschauen.

Ich stelle mir vor wie schön es wäre in der Sonne zu sitzen, im Wald zu sein und einfach Zeit mit den Menschen zu verbringen, die ich jetzt schon vermisse. 

Aber ich versuche dran zu denken dass ich vielleicht nächste Woche Besuch bekomme und vielleicht ja auch Post. Falls die Staatsanwältin schnell genug lesen kann. 
Und letztlich war mir, als ich die Entscheidung getroffen habe anarchistisch zu leben, klar gewesen dass die Staatsgewalt das nicht witzig finden wird. 

Der Knast hat schon so viele Menschen aus meinem Umfeld getroffen, dass ich ungefähr wusste was auf mich zukommt / zukommen kann. Trotzdem ist es ziemlich scheiße jetzt hier drinnen zu vergammeln. 
Macht was schönes da draußen und esst ein bisschen Tofu für mich mit.

Jetzt stehen wieder einige an den Fenstern und unterhalten sich schreiend. Eine schaut gerade im Fernsehen eine Kölner Version von "Berlin Tag&Nacht". 
Da ist irgendein Charakter in den Knast gekommen. gedreht wurde das ganze tatsächlich in der JVA Ossendorf und einige von de Schließer_innen aus Haus 14 spielen tatsächlich mit. Irgendwie ist Knast an sich schon Real-Satiere aber dass eine staatliche Einrichtung wie eine JVA sich für RTL2 filmen lässt ist schon eine Selbst-Karrikatur sondergleichen.

25. März 
Ich muss daran denken, dass heute 3 wundervolle Menschen Geburtstag haben. Wie gerne wäre ich bei euch um euch zu umarmen und zu sagen wie unschätzbar lieb ich euch habe. Hoffentlich habt ihr eine schöne Feier und hoffentlich sehen wir uns bald wieder. 

Heute Vormittag war Gottesdienst. Auch wenn ich kein bisschen an Gott glaube und es Ewigkeiten her ist dass ich zuletzt eine Kirche betreten habe, so ist es doch eine gute Möglichkeit aus der grauen Enge und Stille der Zelle herrauszukommen.

Insgesamt ist die Kirche der schönste Raum im gesamten Knast. 
Die Fenster sind aus farbenfrohen Glasbausteinen und der Sonnenschein hat den Raum mit warmen, bunten Licht ausgefüllt. 
Inhaltlich wars eben das übliche Kirchengeschwätz. 

Aber ähnlich wie beim Konzert war es eine Möglichkeit Menschen zu treffen und sich zu unterhalten. Der Pfarrer war überfordert, weil ihm kaum zugehört wurde und keine übermotivierte Wachtel für Ruhe und Disziplin gesorgt hat. 

Als der Gottersdient vorbei war haben sich alle Gefangenen am Ausgang gesammelt, der natürlich mit massiven Eisengittern gesichert war. Wie ein Schleusentor strömen alle nach draußen sobald die Tür geöffnet wurde.

26. März

Morgen früh kommen drei Mitgefangene auf Transport. 
Sie haben alle einen Tag später Haftprüfung bzw. ihren Prozess. 
Ich hoffe sehr dass sie rauskommen. 

Aber es ist auch ein bisschen komisch, vor Augen geführt zu bekommen dass ich weiterhin hier drinnen gefangen bin. Vorallem mit zwei von ihnen habe ich mich ganz gut verstanden. 
Und F. kann draußen auch endlich den Schwangerschafttest machen den sie seit 3 Wochen beantragt hat und noch immer nicht bekommen hat. Zwar sind wir unterschiedlich wie Feuer und Wasser, von der politischen Einstellung bis hin zum Lebensstil. Bis auf die Ablehnung gegen die Polizei haben wir inhaltlich kaum Ähnlichkeiten. 

Als ich irgendwann mal gesagt habe, dass ich mich als linksradikal bezeichne hat F. gelacht und geantwortet, sie würde sich als rechtsradikal bezeichnen. Wir haben viel diskutiert und viel geraucht und letztlich denke ich dass es gut ist, ganz ruhig zu argumentieren.  
Denn F. hat keinerlei geschlossenes Weltbild und nutzt das Label rechtsradikal vorallem als Abgrenzung. Vielleicht konnte sie aus den Diskussionen den ein oder anderen Denkanstoß mitnehmen. Darüber hinaus merke ich dass es mir hier wichtiger ist, die Willkür und den Druck des Knastes abzufedern indem ich versuche solidarisch zu sein. 

Vorallem unter der Prämisse einer "Frauen"-Solidarität.  F. hat viel erzählt, von ihrem Leben, ihren Ängsten und Erfahrungen von patriachaler Gewalt. Das ist ein massiver Zwiespalt. Gefangenensolidarität vs Politische Einstellungen.  

Bei F. allerdings habe ich gemerkt dass sie oft mit ihren Weltvorstellungen an ihre Grenzen gekommen ist und wie gesagt, vielleicht hat sich etwas in ihr verändert als sie gemerkt hat dass eine  "Zecke"  wie ich zuhören und unterstützen 
kann. Letztlich können Menschen mich gerne dafür kritisieren dass ich guten Kontakt  mit einer Rechten habe. Ich glaube dass es in einer solchen Situation richtig ist.
 
Und mir hat es gut getan zu disskutieren und meine Argumentation zu trainieren, an einem isolierten Ort wie dem Knast. 

Zum Thema Gefangenen-Solidarität. Ich beobachte wie, die meisten Peer-Groups sich nach Sprachen zusammenschließen. 
Innerhalb derer ist ein Geben und Nehmen üblich, nach "außen" hin  weniger. Was die konkrete Konsequenz hat, dass z.B. Leute die Rom sprechen meist weiniger in den Kreislauf des Tauschens eingeschloßen sind, weil sie meist weniger Ressourcen haben.
 
In der Zelle neben mir ist eine Romnja eigesperrt, die einen Tag nach mir reingekommen ist. Von den Deutschsprachigen (inklusive der Schließer) wird sie extrem unfreundich oder ignorant behandelt. 
Ich habe ein bisschen mehr Kontakt zu ihr, wir können uns auf Französich unterhalten (soweit mein schlechtes Französisch das zulässt). Wenn sie irgendwas von den Schließern braucht, kommt sie manchmal zu mir und ich übersetze dann. 

Weil wenn sie direkt zu den Beamten gehen würde, würden die sie ohnehin nur auf Deutsch zulabern und anfangen rumzubrüllen wenn sie nicht versteht was gemeint ist. 

Da ich in der deutschsprachigen Gruppe ganz gut angekommen bin, kann ich auch immer wieder Sachen (Tabak etc.) an sie weitergeben, die sie von den Leuten selbst nicht kriegen würde. So traurig das ist, vielleicht ist das ein sinnvoller Umgang mit meinen Privilegien?


27. März

Die letzte Nacht habe ich kaum geschlafen. Die Mädels (Selbstbezeichnung), die heute auf Transport sind, waren so aufgeregt dass an Schlaf nicht zu denken war. Und so standen wir am Fenster und haben bis tief in die Nacht hinein geredet. 

F. hat gesagt dass sie Angst hat. Angst vorm drinnen bleiben und Angst vorm raus kommen. Da draußen sei niemand, hat sie gesagt, auf den sie sich wirklich verlassen könnte. Im Knast hat sie "Schwestern" gefunden. Sie will nicht raus, hat sie gesagt. 

Und das obwohl sie voher tagelang auf ihren Prozess hingefiebert hat. 
Es ist so ein unfassbares Privileg, dass ich weiß: Da draußen sind tatsächlich Leute. Und obwohl noch keinerlei Briefe angekommen sind, vertraue ich trotzdem darauf. 

Heute Morgen war 45 Minuten Sport. Wir haben zu viert Federball gespielt. Dann war "Männersport" und wir mussten schnell raus aus der Halle. Es hat sich angefühlt wie ein Spießrutenlauf, eingedeckt zu werden mit ekligen Kommentaren und Blicken von 20 Typen die ihre männliche Überlegenheit unter Beweis stellen wollten. Schwanzvergleich in Reinform. 

Den Rest des Tages habe ich gelesen und über das Leben draußen nachgedacht. Ich vermisse es am Lagerfeuer zu sitzen, planlos durch die Gegend zu streunern und Musik zu hören. Ich freue mich darauf wieder zu trampen und die kalten Finger an einer Teetasse aufzuwärmen. 
Es sind all diese kleinen Dinge die das Leben ausmachen, die mir hier so fehlen.  Es ist so gleichförmig, eine zermürbende Leere und strengstens geordnete Routine.
Und mir ist klar dass ich gerade mal elf Tage drinnen bin und andere Jahre sitzen müssen. 

Vorallem sehe ich meine Privilegien umso deutlicher: Ich bin weiß, spreche perfektes Deutsch, muss keine Angst haben abgeschoben zu werde, bin physisch und psychisch soweit stabil dass ich keine Unterstützung bräuchte. Denn die wird hier sämtlichen Leuten entzogen, was ziemlich brutale Konsequenzen hat. 
Stichwort: Person ist im sechsten Monat schwanger und hat in fünf Monaten U-Haft genau zwei mal einen Arzt gesehen. 
Es gibt noch viel mehr Beispiele, aber ich glaube das wird zu viel alles aufzuschreiben.

Und trotzdem ist es auch für mich scheiße, hier eingesperrt zu sein.

Die Entenküken (zehn Stück) laufen vor meinem Fenster durchs Gras. Fiepend putzln sie übereinander, immer wachsam begleitet von einer erwachsenen Ente.

So, jetzt hab ich kein Papier mehr. Mal sehen ob ich neues kriege oder ob die Schließer keinen Bock haben. 

Eben kam eine Wachtel rein und hat mir eine Plastiktüte in die Hand gedrückt. Ich solle meine Sachen für morgen da rein tun. “Häh? Was ist denn morgen?”
“Na Haftprüfung, hat ihnen das keiner gesagt.”
“Nee, wusste ich nicht.”
“Ok, also Sachen da rein. Die werden durchsucht und morgen können sie sich unter Aufsicht umziehen.” 

Jaja, Ordnung und Kontrolle muss sein, damit ich keine bösen Dinge in Gericht schmuggeln und den Richter mit Magerinen-Päckchen angreifen kann, oder was? Aber halt, ich vergaß welch verdächtiges und gefährliches Subjekt ich bin.

Haftprüfung. Ich bin so UNFASSBAR nervös. Es wäre so wunderbar morgen schon wieder frei zu sein. 
Aber gleichzeitig ist mir auch klar dass es eben nur eine HaftPRÜFUNG ist. Also ist keineswegs klar ob ich überhaupt rauskomme.
Eben war nochmal Abendumschluß. Ich hoffe dass es der letzte für mich ist. 
Meine übrigen Sachen wie Essen, Tabak, Hygienekram hab ich schonmal verschenkt. 
Morgen um 7.45 Uhr gehts auf Transport. 
Ich bin total aufgedreht und habe auch Angst.
Angst vor dem Gefühl, morgen wieder an diesem Schreibtisch zu sitzen und zu wissen dass es möglich gewesen WÄRE rauszukommen. Aber dass das Gericht mal wieder mächtiger war. 

Vorhin hat mich eine Schließerin gefragt was ich denke, wie die Haftprüfung ausgehen wird. Was soll ich darauf antworten? Hätte ich Vertrauen in eine faire Justiz (haha, was soll das sein?) hätte ich geantwortet "ja". Da ich das aber nicht habe: “keine Ahnung.”
Letztlich hab ich aber nur mit den Schultern gezuckt und irgentwas genuschelt.

28. März, Abends in Freiheit

Wieder raus aus dem Knast zu sein ist ein seltsames Gefühl. Manchmal fühlt es sich an  als wäre ich nicht weg gewesen, als hätte ich nur lange geschlafen und schlecht geträumt.
Aber es sind viele kleine Dinge, die mir unverkennbar klar machen dass es kein (Alb-)traum war. 
...Wie faszinierend plötzlich es ist im Park in der Sonne zu sitzen, ohne eine Mauer drumherum. Endlich mehr als 20 Meter laufen zu können ohne umdrehen zu müssen weil da der Hof endet. 
…. Aus dem Fenster zu schauen und die Hand ausstrecken zu können, denn da sind keine Gitter im Weg. 
...Eine Tür öffnen zu können.Normale Türen, keine Bunkertüren mit Stahlriegeln und Beobachtungsluken für Wachteln.
….Selbst entscheiden zu können was ich essen will. Vorallem aber kein Weißbrot in Papierkonsistenz. 

Obwohl ich heute Morgen noch in der Zelle aufgewacht bin, scheint alles Welten entfernt. 
Als ich das Amtsgericht verlassen habe bin ich erstmal quer über die Wiese gerannt, wie ein Hund der zu lange im Zwinger war. ...Endlich Platz zum laufen und Luft zum atmen. ...Keine gesiebte Luft, gefiltert von 2fachem Gitter. 
… Ausblick aus dem Fenster auf eine Straße, auf der Menschen laufen. Kein Natodraht in doppelten Rollen.

Obwohl 11 Tage Knast und 1 Tag Bullenwache vergleichsweise ein Witz sind (wenn auch kein sonderlich lustiger), erscheint mir alles unwirklich. Mein Kopf ist wie Brei und es fühlt sich an wie in einem Film. 
Auch schlechte Filme enden und auch wenn der Abspann manchmal länger braucht als  nur 90min so ist dieses Drehbuch endlich am Ende angelangt. 

Für dieses Mal habe ich den Knast hinter mir. 
Auch wenn er einiges an Energie gezogen hat, so ist er doch nicht mehr dieses gruselige Unbekannte dass als ständige Drohnung im Raum steht. 

Und da sind tatsächlich Menschen. Solidarität ist gerade nicht nur eine hohle Phrase.  Kein Wort der Welt könnt ausdrücken wie froh ich darüber bin. 
Dazu passt ein Lied, dass ich die letzte Tage andauernd vor mich hin gesungen habe, wenn ich mich alleine gefühlt habe.

“Ich habe Angst vor Staatsgewalt, doch ich habe kein' Respekt. 
Und ich weiß auf wen ich zähl'n kann, 
halt den Kopf hoch bis zuletzt.”

2 thoughts on “Knasttagebuch von Finn”

  1. Ein sehr interessanter und anregender Beitrag, danke! Ich bin froh, dass Finn wieder draußen ist. Weshalb genau ist sie denn in U-Haft gesessen, was wurde ihr vorgeworfen?

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