Tagebuch aus dem Knast #3

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Erhalten am 14. Dezember

Teil 3 – PLÄTSCHERNDE ZEIT

Maya #3

Dienstag, 6. Dezember 2016 

Bei der Frühstücksausgabe frage ich nach der Uhrzeit. 6:30Uhr. Außerdem nach Papier, woraufhin ich einen ganzen Batzen bekomme. Puh, endlich kann ich richtig loslegen. Heute gibt es sogar Schwarzbrot zur Auswahl. Den Frischkäse lasse ich zurück gehen. „Sollen wir Sie als laktosefrei eintragen?“, fragt die blonde Frau hinter dem Servierwagen. „Ja, bitte.“, antworte ich. „Das muss aber mit dem Arzt abgeklärt werden.“, sagt der Schließer, der selbe von gestern. „Naja, hab ich ja schon.“, entgegne ich. „Ach so, naja dann...“.

Als die Tür wieder zu ist, lüfte ich noch einen Moment durch, lege mich dann wieder ins Bett und schlafe bis es hell ist. Dann aufstehen, Fenster aufreißen, tief durchatmen. Die kalte Winterluft tut gut und ist das einzig ansatzweise natürliche in dieser künstlichen Umgebung, mit dem ich derzeit ohne Umschweifen in Kontakt kommen kann. Man muss nur die Gerüche nach Zigarettenrauch, Abgasen und Stadt ignorieren.

Ich hab erstaunlich gut geschlafen – auch mein Rücken und Nacken tut nicht mehr so weh. Gleiches Programm wie gestern mit Zähne putzen, Training und Frühstück. Da muss es dann so gegen 9Uhr sein, denn die anderen haben Hofgang. Es sind ein paar neue Gesichter dabei, andere fehlen. Die Zierliche mit dem starren Blick kam mir gestern noch so verletzlich vor, heute hab ich den Eindruck, dass sie einfach nur alles anätzt. Nach der ersten halben Scheibe Brot klappern die Schlüssel im Schloss. Duschen. Die Krätze-Creme prickelt schon langsam auf der Haut. Am Ende des Flures an der Kanzel stehen zwei Gefangene und schauen dem Wachtel zu, wie er einen Haufen Wäsche, für mich und die nächsten vier Tage, sortiert. Ich grüße sie und wir unterhalten uns kurz. Die eine hat im Fernsehen gehört, dass die Krätze gerade wieder umgeht. Der Wachtel drückt mir die Wechselklamotten für heute in den Arm, ich wünsche den beiden Gefangenen einen schönen Tag und verschwinde im Duschraum. Heute ist es darin wärmer als gestern und ich hab die Kernseife aus der Zelle dabei. Der Jogginganzug passt besser als gestern und ist grau. Die Unterhose muss ich mir bis zur Tailie hochziehen und weil ich nur Binden, keine Tampons bekommen hab, fühlt es sich zuerst ein bisschen nach Windel an (und sieht wahrscheinlich auch so aus). Zurück in der Zelle wird das Bett wieder frisch bezogen und alles textile, was ich gestern benutzt hab, wird wieder in Säcke verpackt und verschnürt.

Während ich weiter Frühstücke, schaue ich abwechselnd den anderen beim Hofgang zu oder schreibe. Mittlerweile steht die Sonne so hoch, dass sie mir ins Gesicht scheint. Immerhin sind die Fenster nach Süden ausgerichtet. Von irgendwo, vermutlich einer anderen Zelle, tönt lauter Hip Hop. Der Himmel ist seit Tagen wolkenlos, dementsprechend kalt ist es auch. Trotzdem ich nicht mehr viel anzuziehen habe, habe ich das Fenster möglichst viel auf, mindestens auf Kipp. Der Gedanke, mich selbst hier drin noch mehr einzusperren, befremdet mich nach wie vor. Zur Abwechselung und Eingewöhnung putze ich das Zimmer ein wenig. Staub wird gewischt, das Waschbecken so gut wie möglich geschrubbt, wobei ich das schnell aufgebe, nur mit Waschlappen und Wasser lässt sich nicht viel machen. Beim Fegen des Bodens mit dem Handfeger entdecke ich eine kleine Spinne hinterm Tischbein. Wie schön, ich bin also doch nicht ganz allein hier, denke ich zärtlich, und sofort schießen mir Namen durch den Kopf, wie ich sie nennen könnte, Garry, Hilde, Sophie, Thekla… Dann denke ich, dass das vielleicht anmaßend wäre, andererseits, was sind schon Namen? (Was meinst du?)

Als nächstes höre ich den Essenswagen quietschend näher kommen und Geschirr klappern. Mal sehen, was es heute gibt… drei Scheiben Schwarz- und fünf Scheiben Weißbrot (zur Abwechselung), dazu Fencheltee. Vegetarische Alternative gibt’s noch nicht, ich soll klingeln, wenn ich mehr Tee will, sagt der Schließer (es ist übrigens immer der Gleiche). Während ich esse, kommen zwei große Autos, ein Pick-up und ein Van mit Anhängern in den Hof gefahren. „Baumpflege“ steht auf dem Van. Sie beschneiden einen der fünf Bäumchen, die paar dünnen Äste landen in einer kleinen Heckselmaschine und für ein paar Sekunden fühle ich mich fast wie Zuhause im Wald. Dann ziehen sie wieder ab. Das Ganze hat bloß wenige Minuten gedauert.

Ich beeile mich den Tee auszutrinken und drücke den Knopf in der Wand, dann passiert ne ganze Weile – nichts. Nach ca. 10min wird die Tür geöffnet und barsch gefragt, was sei. „Mir wurde gesagt, ich soll den Knopf drücken, wenn ich mehr Tee will.“, erkläre ich. Sie ruft nach Herrn Schiffer* und dem Tee, aber der ist schon weg. „Ich trete dem Herrn vors Schienbein, sagt die Schließerin genervt und ich denke „jaaa...“ und muss grinsen. Eine Weile mühe ich mich ab, die Geschehnisse seit meiner Festnahme nieder zu schreiben, aber es will mir nicht so recht gelingen. Stattdessen male ich eine Skizze der Zelle, in der ich nun lebe.

Als die Sonne grade hinter der Mauer verschwunden ist, sitze ich auf dem Klodeckel und wärme mich an der Heizung, als die Tür aufgeschlossen und geöffnet wird. Ich habe immer den Impuls schnell auf zu stehen, bevor die Tür ganz offen ist, weil ich nicht weiß, was kommt und auf alles gefasst sein will. Aber das hier ist was anderes, als eine Polizeistation, wo ich diesen Impuls entwickelt habe. Vor allem möchte ich ihnen nicht das Gefühl geben zu salutieren. Daher bleibe ich sitzen. Eine recht kleine Wärterin steht in der Tür und fragt, ob ich mal raus wolle. Natürlich möchte ich das, aber ich hab ja keine Schuhe, die sind in der Desinfektion und da ich ohnehin schon immer kalte Füße hab, kommt Barfuß auch nicht in Frage. Sie verspricht mir ehrenmütig, morgen Schlappen zu besorgen, damit ich keinen „Zellenkolla“ kriege. Dann plaudert sie mit mir über Krätze und schließlich fragt sie, woher ich komme. Sie hätte sich schon gedacht, dass ich ausm Hambacher Forst käme, ich sähe so autonom aus („Nicht böse gemeint!“). Sie schwärmt von Baumhäusern und findet gleichzeitig, dass wir zu radikal vorgehen würden, könne es aber grundsätzlich verstehen. Weiter erzählt sie von einem Bekannten aus alten Tagen, der mal grüne Haare hatte und jetzt Anzüge von Prada trägt und es verurteilt, wenn Menschen nicht authentisch sind und nicht dabei bleiben. Im Umkehrschluss bedeutet das für sie also, dass ich zwangsläufig hier landen musste, weil ich mir und meinen Idealen treu geblieben bin, was sie gut findet. Während sie nicht gut findet, wie ich das tue… Wie dem auch sei. Am Ende „warnt“ sie mich noch davor, dass hier nicht alle so nett seien, wie vielleicht tun. Ich beziehe das auf die Beamten und erst später fällt mir ein, dass sie wahrscheinlich eher die Gefangenen meinte. Auch ihre Freundlichkeit kam mir aufgesetzt vor, was sie ja auch ist, denn ich denke, dass sie mir nicht nicht weh tun würde, wenn der Befehl/das Gesetz ihr es erlaubt oder es verlangt.

Auch wenn es noch nicht ganz dunkel ist, habe ich keine Lust mehr in Decken gehüllt auf dem harten Stuhl rum zu sitzen und zu schreiben, also mache ich das Fenster noch mal ganz weit auf, trainiere und putze mir die Zähne. Im Bett kreisen meine Gedanken noch eine Weile um meine Lieben und während mir langsam wärmer wird unter den zwei Polyesterdecken und schlafe ich ein.

Als ich später in der Nacht wieder aufwache, gelingt es mir endlich, über die ED-Behandlung zu schreiben. Auch ist mir endlich warm genug, um das Fenster auf Kipp zu stellen, zum Schluss schreibe ich noch einen Antrag auf Briefmarken und hau mich dann wieder aufs Ohr.