PROZESSBERICHT 3. VERHANDLUNGSTAG MAYA/“KIM NEULAND“

+ Anklagepunkte: Hausfriedensbruch, Störung öffentlicher Betriebe, Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung + insgesamt 17 Zeug*innen vernommen + ein Vertreter von RWE und innogy-Vorstand zur Klärung des Sachverhalts, ob es sich bei den Kraftwerken um für das Gemeinwohl notwendige öffentliche Betriebe handelt angehört + Urteil: 1 Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung auf 3 Jahre, 500 Sozialstunden in 6 Monaten + Berufung eingelegt +

Hier die Berichte vom ersten und zweiten Verhandlungstag.

Vor dem Gericht stehen zum dritten Verhandlungstag am 5. Oktober 2018 etwa 15 Cops teils quer über den Hof verteilt, manche lungern unmotiviert in ihren Wannen rum. Für die Prozessbeobachter*innen gibt’s routiniert die Einlass- & Persokontrollen.

Die Verhandlung beginnt, die ersten zwei C02p-Zeugen haben keine Erinnerungen an den Einsatz. Die StA beantragt bezüglich des Vorwurfs “Hausfriedensbruch” eine “Beschränkung der Verfolgung” nach §154a StPO – quasi eine Teileinstellung, da diese Vorwürfe hier 1. nicht “beträchtlich” ins Gewicht fallen und 2. die Angeklagte nicht vorbestraft ist. Oder eben weils wie die ganze Veranstaltung ohnehin einfach lächerlich ist.

Der nächste Zeuge wurde nach Beweisantrag der Verteidigung aus dem letzten Verhandlungstag geladen. Er ist Ingenieur bei RWE und soll eigentlich Auskunft darüber geben, wohin der Strom aus den Kohlekraftwerken am Ende der Verbauchskette fließt. Tatsächlich liefert er im Zeugenstand eine kleine Show ab, verdeutlicht an seinem eigenen Körper, wie und wo der Strom läuft: Der Strom fließe aus “Beinen” und “Armen” in den “Torso” – die Netzknoten.

Auf welche Leistung der Strom zurückzuführen ist, sei dann nicht mehr möglich. Erst auf Nachfrage wird er konkreter: Der Strom werde ins Übertragungsnetz Amprion eingespeist – ein Europaweites Hochspannungsnetz. Und in das Regionalversorgungsnetz West, das sei aber nicht Teil von Amprion. Zur Anschauung hat er sogar eine Netzkarte mitgebracht. Zumindest eins haben der Strom und die Aktivisten aus dem Hambacher Forst also gemeinsam: so wirklich identifizierbar sind sie nicht.

Es folgen vage Formulierungen zur Versorgungssicherheit. Würde ein Kraftwerk abgeschaltet, gäbe es einen Stromabfall, der wiederum würde aber durch Reserveleistung oder Stromeinkauf abgefangen. Auch könnten bei Stromengpässen Verträge mit der Industrie greifen. Es sei allerdings auch nicht auszuschließen, dass eine Störung eben keine Auswirkungen auf den Verbraucher habe. Na super. Fassen wir das nochmal konkret für Kims Fall und den Vorwurf des §316b zusammen: Es ist nicht auszuschließen UND nicht sehr wahrscheinlich, dass bei Stromausfällen nur die Abnehmer im Ausland betroffen sind. Zu dieser Erkenntnis hätten wir echt schmerzfreier kommen können.

Die Staatsanwaltschaft bleibt nach dieser Aussage weiterhin dabei: RWE Strom wird hier verbraucht und bei Störungen gibts dann eben auch hier die Engpässe. §316b passt. Basta. In seinem Plädoyer fordert er einen Teilfreispruch für den Hausfriedensbruch, den Straftatbestand Störung öffentlicher Betriebe sieht er allerdings als erfüllt an, ebenso eine Mittäterschaft an der Körperverletzung und Landfriedensbruch. Als Strafmaß fordert er für ersteres 90 Tagessätze und für letzteres ein Jahr und 2 Monate, insgesamt: ein Jahr und drei Monate ausgesetzt auf Bewährung plus ein Ableisten von 500 Sozialstunden.

Die Verteidigung schließt sich wenig überraschend nur im Teilfreispruch für den Hausfriedensbruch an. Und da hört‘s schon auf:

Die Ankettung sei keine Strukturveränderung, die Kohleförderung hätte fortgesetzt werden können und es hätte auch keine Auswirkungen auf die Stromversorgung gegeben, da RWE nachweislich Strom ins Ausland exportiert und die dortigen Abnehmer nicht durch deutsche Gesetze vor Engpässen und Ausfällen geschützt seien. Weiter sei nach der Vernehmung des RWE-Ingenieurs offensichtlich, dass innerhalb von Sekunden etwaige Schwankungen ausgeglichen werden können. Jetzt mal Klartext: dieses Kraftwerk braucht kein Mensch!

Mit Blick auf die Tatvorwürfe zum Januar-Fall bemängelt er die Identifizierung durch den Secu-Zeugen: Der Wiedererkennungswert der Kleidung bei einer Gruppe Menschen, die Kleidung oft hin und her tauschen und meist dunkel gekleidet sind, ist kaum ernst zu nehmen. Die Angeklagte an ihrer Stimme wieder erkannt zu haben, nachdem diese eine Zeit lang in der Öffentlichkeit als mediale Sprecherin wahrgenommen wurde und er auf jeden Fall schon vor den Einsätzen Bilder von ihr gezeigt bekommen hatte, reicht ebenso nicht aus.

Und während der Verteidiger über Macht und Verantwortung, Gewaltenteilung und Kontrolle, und über die Rolle von Protest palimpert, verkündet in Münster das OLG seinen Beschluss zum erneuten Eilantrag des BUND: Der Forst bleibt vorerst erhalten.

Für die Angeklagte sieht es hier und jetzt in Düren nicht ganz so gut aus. Die Richterin entscheidet auf ein Jahr Haft, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahren, plus 500 Stunden gemeinnützige Leistungen abzuleisten innerhalb einer Frist von 6 Monaten für die Tatbestände der §§316b, 125, 224 StGB.

Angeklagte und Verteidiger legten Berufung gegen das Urteil ein.