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Erhalten am 14.Dezember 2016
Teil 1 – INHAFTIERUNG Maya #1 Samstag, 3.12.2016, ca 10 Uhr vormittags – am Rande der Fällarbeiten im Hambacher Forst Eben ging es noch um den recht grob verhafteten Todde, da wendet sich der Weiß-Behelmte, Blau-Uniformierte auf einmal an mich und im nächsten Moment finde ich mich auch schon in den Händen seinesgleichen wieder, die mich vom Rand der Gruppe abpflücken wie eine Traube. Dumm, ihnen den Rücken gekehrt zu haben. Während sie mich auf RWE-Land - die ehemalige Autobahn - tragen, höre ich die Worte „Haftbefehl“ und „festgenommen“. Warum kann mir niemand sagen. Dennoch bin ich wenig überrascht. Wenn sie wollen, können sie. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sie auf diese Weise Aktive aus dem Hambacher Forst aus ihrem Weg räumen lassen. Noch auf der Alten A4 werde ich bis aufs Unterhemd ausgezogen und durchsucht. Die RWE-Security dürfen zugucken. Dann werde ich in eine kleine Zelle des Gefangenentransporters der Polizei gesteckt und auch untenrum durchsucht. Man muss den Kopf einziehen und kann sich gerade um die eigene Achse drehen. In der eisernen Tür und nach vorne zur Frontscheibe hin sind kleine Plexiglasfenster. Doch noch bevor sich alle Türen schließen, erhasche ich einen Blick auf einen rauchgrauen Pick-Up, am Lenkrad sitzt eine gelbe Warnweste. Es ist der Secu-Boss „Maxi“. Eine Sekunde Blickwechsel, dann fährt er an und die Tür der kleinen Zelle, in der ich sitze, wird verriegelt. Draußen höre ich einige Cops, wie sie sich unterhalten. Es sei ja schon schade um den Wald, aber… In Aachen auf der Zelle werde ich wieder bis auf die Unterhose durchsucht. Weil ich gesagt hab, dass ich vermutlich Krätze hab, hat sich die Polizistin einen weißen Einmal-Overall überzogen. Ich werde gefragt, ob ich mit einer Erkennungsdienstlichen Behandlung (kurz ED) einverstanden sei. Ich verneine lächelnd, aber nach wie vor würde ich gerne meinen Anwalt sprechen, wie ich es schon zu Beginn meiner Verhaftung verlangt habe. Ich werde wieder einmal – und wie erwartet – vertröstet. Irgendwann kommen dann zwei von der Kripo, um mir zu erzählen, was sie mit mir vor haben. Ich habe schon längst jegliches Zeitgefühl verloren und nicht mitgezählt, wie oft sich die Zellentür öffnet und wieder geschlossen wird, bis ich dann zur ED-Behandlung abgeholt werde. „Freiwillig oder es tut weh.“ Der Große kann es scheinbar kaum erwarten, mir den rechten Arm auf den Rücken zu drehen und hat mit seinen einleitenden Worten nicht gelogen. Vornüber gebeugt, weil mir beide Arme auf dem Rücken verdreht werden, werde ich durch die Flure, in den Aufzug und schließlich in den ED-Behandlungsraum gezerrt. Fingerabdruck-Abnahme, Größenmessung, Fotos von der Seite, Schräg, Vorne und Tattoos… Meine linke Hand fängt an zu kribbeln und wird taub, weil sie auf meinem Rücken fixiert und abgeknickt wird. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, aber immerhin scheint es auch sie Kraft zu kosten, obwohl ich kaum etwas machen kann. Zwischendurch, wenn sie warten müssen, stellen sie sich mit mir an die Wand, der Große zu meiner Rechten drückt mein Gesicht auf sein zitterndes Knie. „So viel Aufwand für ein paar Bäume.“, sagt er verständnislos. „Naja, sind schon mehr als ein paar...“, sagt der Andere etwas zurückhaltend. So viel Aufwand für ein bisschen Strom, denke ich. Zum Schluss geht’s noch mal an den großen Computer, an dem Fingerabdrücke genommen werden. Noch einmal scannen sie jede einzelne Fingerspitze, dann auch die Finger selbst und die Handflächen. Das dauert noch mal gefühlt halb so lang, wie die ganze Prozedur davor. Schließlich werde ich einen Raum weiter geführt, in dem Schreibtische mit Computern, Telefonen und jede Menge Zetteln darauf stehen. Ich werde auf einen Stuhl außer Reichweite der Schreibtische gedrückt, wie ein unartiges Kind, und mir wird der Haftbefehl auf den Schoß geklatscht. Der linke Arm wird endlich losgelassen, den rechten klemmt sich der Große mit etwas übertrieben eisernen Gruppe zwischen Stuhl und Oberschenkel. In Ruhe lese ich die 2 ½ Seiten Haftbefehl. Da sie meine Personalien bisher noch nicht feststellen könnten, versuchen sie mich über Bilder zu identifizieren. Zwei davon wurden im Zuge der Observation der WAA gemacht. Dann endlich wird mir ein Telefonhörer hingehalten und ich spreche mit meinem Anwalt. Es ist schön seine gelassene und gleichzeitig entschlossen motivierte Stimme zu hören. Alles kein Grund zur Sorge. Auf dem Weg zurück zur Zelle steht da auf einmal Eva! Ich freue mich riesig sie zu sehen, auch wenn ich zuerst nicht so recht verstehe, warum sie da steht. Die Cops halten mich inzwischen nicht mehr ganz so eisern fest und am Liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen, um mich ganz fest von ihr in die Arme schließen zu lassen, so wie wir das zu tun pflegen. Doch während sie mich fragt, wie es mir geht, werde ich schon an ihr vorbei geführt und ich kann ihr gerade noch so zurufen, dass ich ok bin. Während ich wieder in die Zelle gedrückt werde, dämmert mir, warum sie da ist. In Gesprächen mit den Cops in den letzten Monaten wurde vereinbart, dass Kontaktpersonen Gefangene in Gewahrsam besuchen dürfen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht misshandelt werden. Das ist an sich schon paradox, begreift man die Freiheitsentziehung als solche, die die wenigsten freiwillig mitmachen, schon als Misshandlung. Und wenn nicht kooperiert wird, darf, nach Verständnis des Gesetzes, Gewalt angewendet werden. Herr Weinspach ist naiv, wenn er tatsächlich davon ausgeht, dass unter diesen Bedingungen niemand in seiner Wache misshandelt wird (aber genau das behauptet er). Selbst wenn ich angefangen hätte, Eva mitzuteilen, was mit mir gemacht wurde, hätten diese wenigen Sekunden nicht im Ansatz gereicht. Nichts von all dem hat irgendwas mit Gerechtigkeit zu tun, wenn eine einfache Anschuldigung eines Security reicht, um mich hier her zu bringen. Ja, ich würde frei kommen, wenn ich meine Personalien geben würde. Aber das würde vermutlich eine Unterlassungsverfügung erleichtern, die es schon einigen anderen Aktiven im Braunkohlewiderstand erschwerte, weiter im Wald gegen die Abholzung und den Braunkohleabbau an sich, aktiv zu sein. Es gibt keinen Anlass zu kooperieren. Gerechtigkeit lässt sich nicht an Gesetze binden. Das beste Beispiel dafür dürfte uns allen bekannt sein. Ich höre Eva noch in ihrer ruhigen, sanften Art mit dem Beamten diskutieren - er barsch und knapp, da ist die Tür schon zu. Ich begutachte das schmerzende linke Handgelenk, es ist leicht geschwollen und bewege vorsichtig die rechte Schulter in kreisenden Bewegungen. In Anbetracht dessen, was ein Körper so alles aushalten kann nichts Wildes. In Anbetracht der Umstände entsetzlich. Bald darauf liege ich in Polyesterdecken („schwer entflammbar“ steht auf dem Etikett) gehüllt auf der mit einer Art Plane ummantelten Schaumstoffmatratze und versuche einzuschlafen. Mir ist kalt und besonders mein rechter Fuß will und will nicht warm werden. Ich spüre den kalten Schweiß der letzten Stunden auf meiner Haut. Meine Hände sind immer noch und immer wieder nass. Im Traum wache ich in einem warm beleuchteten Raum auf. Eva und eine besonders geliebte Person haben mich zu Eva nach Hause gebracht, während ich geschlafen habe. Ich fühle mich wunderbar wohl… Als ich wieder aufwache, umgeben mich hohe, geflieste dreckige Wände, die von weißem Licht ausgeleuchtet werden. In einer Ecke der acht oder neun Quadratmeter großen Zelle befindet sich ein Hockklo. Hinter dem dicken Milchglas der Fenster ist es dunkel geworden. Mir ist heiß und meine Hände sind etwas aufgequollen vom Schweiß. Der Traum hinterlässt schöne Gefühle in mir und für einen Moment hoffe ich einfach, weiter zu träumen. Natürlich vergeblich. Dennoch guter Dinge stehe ich auf, gehe zur Tür und klingele. Bald darauf steht ein kleiner, rundlicher Typ vor mir und fragt, was ich wolle. Hände waschen, vielleicht sogar duschen. Hände waschen ja - duschen nein und überhaupt wolle er erst mal meine Daten haben. Er sagt das in patzigem Ton und stemmt dabei die Hände in die Seiten. Ich gluckse und erwidere: „Uns sie sind…?“ und da ist die Tür auch schon wieder zu. Amüsiert schüttle ich den Kopf. Irgendwann öffnet sich die Tür und mir wird angeboten mich „etwas frisch“ zu machen. „Aber nicht duschen!“ Die Katzenwäsche, inklusive Haare, tut gut. Am nächsten Morgen kann ich durch das dicke Milchglas an den Gitterstäben das Gold der aufgehenden Sonne erkennen. Ob die Zelle wohl absichtlich nach Norden ausgerichtet ist? Bald darauf geht’s zum Haftrichter*intermin nach Düren. Dort am Amtsgericht angekommen, werde ich erst mal wieder in eine Zelle gesteckt, die wesentlich kleiner ist als die davor, vielleicht vier Quadratmeter. In einer Ecke oben ist eine Kamera angebracht. Nach einiger Zeit kommt mein Anwalt in die Zelle und wir bereiten mich auf die Vorführung vor. Er kann leider nicht dabei sein. Es ist klar, dass ich einfahren werde, weil ich anonym bleiben möchte. Aber der Gedanke daran macht mich nicht niedergeschlagen. Bestenfalls bedeutet das, dass ich RWE ein ordentlicher Dorn im Auge bin. Dieser Gedanke gefällt mir natürlich und lässt mich breit grinsen. Sie lassen mich noch ca. 1 Stunde warten, dann werde ich der Haftrichterin vorgeführt. Es ist ein kleiner unförmiger Raum. Am Ende des Raumes sitzt eine Frau in ziviler Kleidung, links von ihr, ihr zugewandt, eine Frau an einem Computer, die Protokollantin. An einer Seite stehen drei oder vier Stühle, auf die sich die Schließerin und ein unerfahren wirkender Typ (ich vermute Azubi) - beide in Zivil - setzen. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch und zwei Stühle, auf einem lasse ich mich nieder. So sitze ich der Richterin gegenüber. Vor mir auf dem ansonsten lehren Tisch liegt, auf rotes Papier gedruckt, der Haftbefehl, den ich nun schon kenne. Die Haftrichterin ließt ihn vor, während ich den Raum und die Personen um mich herum mustere. Die beiden Schließer schauen schnell weg, wenn mein Blick sie streift. Als gäbe es da ganz dringend Löcher in die Luft zu starren. Ich äußere mich weder zur Sache noch zu meiner Person. Die Richterin empfiehlt mir noch mal meine Personalien anzugeben, damit ich unter der Auflage, mich einmal in der Woche in der Polizeistation Düren zu melden, raus könne. Mit meiner Verneinung wird der Prozess beendet und ich zurück in die Zelle gesteckt. Es hat kaum fünf Minuten gedauert. Nach ca. drei bis vier Stunden wird die Zelle wieder geöffnet, ich soll meine Schuhe anziehen und ein großer Typ in Uniform versucht mir Fußketten umzulegen, was nicht gelingt, weil die Stiefel zu hoch sind. Irgendwie genüsslich grinsend legt er sie mir schließlich um die Handgelenke - das ginge auch. Während er das tut, schaue ich zu den Schließern, die sofort wieder dringend woanders Löcher in die Luft starren müssen. Zugegeben belustigt mich das. Der Gefangenentransporter ist mit Plexiglas und Metallgittern in drei Abteile unterteilt. Hinten sitzt schon wer. Als ich einsteige, grüßen wir uns. Die Verständigung auf der Fahrt ist schwer, neben der Plexiglasscheibe und den Fahrgeräuschen sprechen wir kaum eine gemeinsame Sprache. Ich verstehe aber, dass er keine Papiere hat. Die Sonne steht schon tief, als wir schließlich in der JVA Köln-Ossendorf ankommen. Es geht durch mehrere Tore und Höfe, dann wird vor einer geöffneten Tür gehalten, wo ich aussteigen und meine wenigen Habseligkeiten in einem blauen Plastiksack aus dem Kofferraum nehmen soll. Ein großer Uniformierter führt mich ins Innere des Gebäudes. Alles sieht nach Knast aus, bloß die Weihnachtsdekoration wirkt fehl am Platz. Wieder einmal werde ich in einen Raum gesetzt, in dem ich warten soll und der abgeschlossen wird. Ich setze mich auf den Tisch ans Fenster, das sich sogar öffnen lässt. Endlich mal wieder Luft. Stadtluft. Nach etwa fünf bis zehn Minuten werde ich von zwei weiblich gelesenen Personen in blauer Uniform abgeholt. Die eine ist groß und hat kurze, wasserstoffblonde Haare, die andere kleiner und hat die Haare in der selben Farbe zu einem Pferdeschwanz zurück gebunden. Auf dem Weg durch die Flure stellt die Größere mir mit strenger Stimme Fragen: „Probleme mit Drogen?“, „Nein, Sie?“, frage ich zurück. „Hören Sie mal, Sie sind hier nicht in der Position Fragen zu stellen“, sagt sie in bissigem Ton. „Warum denn nicht? Warum denn Sie?“, frage ich betont freundlich. „Weil es hier nicht um mich, sondern um Sie geht“. Während wir durch die Flure gehen, haben wir wohl beide unseren persönlichen Spaß daran uns gegenseitig herauszufordern. Zu ihrer Komplizin, die sich weitestgehend raus hält, gewandt, sagt sie betont herablassend: „Ich nehm' sie, das wird bestimmt lustig“. An der Kleiderkammer wird noch mal Halt gemacht. Wieder einmal soll ich mich ausziehen und meine Sachen aus dem Sack werden durchsucht. Die Frau in der Kammer ist freundlicher und fragt, ob ich zum ersten Mal hier sei und warum. Ich erzähle vom Wald. Als ich mich wieder anziehe und die Große vor der Tür wartet, sagt die freundlichere Blonde, dass sie in Teilen verstehen könne, was wir täten. Sie rät mir hier vorsichtig zu sein und dass es nicht so schlimm sei, wenn man keine Probleme mache. Dann stellt sie mir eine Kiste mit Decken, Bettwäsche, Handtüchern, Geschirr, Zahnputzbecher und -Paste, einer Waschschüssel und Geschirrhandtüchern hin und die Große führt mich durch noch einen Flur und noch eine Tür. An einem hervorstehendem Raum mit großen Fenstern heißt sie mich an zu warten. „Willst du noch was essen, sonst gibt’s erst morgen früh wieder was.“ Was für eine gute Idee, denn da fällt mir auf, dass ich seit Samstag Morgen nichts mehr gegessen hab. Sie packt fünf Scheiben Graubrot auf den Stapel in der Kiste, die ich trage, geht den Flur runter, der links von eisernen Türen gesäumt ist. In der Mitte führt eine Treppe nach oben. Die Weihnachtsdekoration, die von den Gittern hängen, die wohl verhindern sollen, dass sich welche aus dem ersten Stock stürzen, scheint ein schwacher Versuch, diesen Ort weniger trist aussehen zu lassen. An dem Schild neben der Metalltür, die sie aufschiebt, steht die Zahlenkombination „13 118“. Ich trete ein in den kleinen Raum und stelle die Kiste auf den Tisch am Fenster. Während ich der Sonne dabei zu schaue, wie sie hinter der kleinen Mauer im Hof verschwindet, esse ich eine Scheibe Brot. Die Nächsten verschwinden schneller als ich gucken kann nach und nach in meinem Bauch, während ich das Bett beziehe und mich einrichte. Hier werde ich also die nächsten Wochen meines Lebens verbringen, denke ich und auf einmal überkommt mich eine unheimlich schmerzhafte Sehnsucht nach dem Wald. So, bloß viel schlimmer, muss es einem wilden Tier gehen, das eingesperrt wird. Noch nie konnte mir das so bewusst werden, wie heute. Noch einmal wird die Zelle aufgeschlossen und eine Sanitäterin fragt mich wegen der Krätze. Morgen soll es zum Arzt gehen. Sie gibt mir eine Salbe gegen Juckreiz, ich bekomme noch eine Zahnbürste, weil die im Paket fehlte, dann wird sich verabschiedet und die Tür verriegelt. Unter den Decken wird es nur langsam warm, aber unter keinen Umständen will ich mich noch mehr einsperren, in dem ich das Fenster zu mache. Aber schließlich geht es irgendwann und ich schlafe ein.