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Bericht des ABC Dresden zum zweiten Prozesstag gegen den Anarchisten Clumsy.
1560 Euro Strafe für angeblichen Millionenschaden! Clumsy beteiligte sich am Pfingstwochenende im Rahmen der Ende Gelände Proteste an einer Gleisblockade, wurde bei der Räumung von LAUtonomia wegen Hausfriedensbruch festgenommen und musste seitdem fast acht Wochen in Untersuchungshaft verbringen. Ihm wird von der Staatsanwaltschaft Störung öffentlicher Betriebe nach § 316b sowie schwerer Hausfriedensbruch vorgeworfen. Am Mittwoch, den 20.07.2016, wurde der Prozess am Amtsgericht Görlitz fortgesetzt. Auf ein martialisches Polizeiaufgebot sowohl vor und im Gerichtssaal wie am ersten Verhandlungstag wurde diesmal verzichtet. Auch wurden die Ausweisdokumente der Prozessbeobachter von Justizvollzugsbeamten lediglich eingesehen, eine Identifikation durch Strafverfolgungsbehörden fand am zweiten Prozesstag nicht statt. Erster Zeuge war erneut Herr Hase, Securitychef von Vattenfall, den das Ende Gelände Protestwochenende offensichtlich sehr beschäftigte. Bereits letzte Woche hatte er sehr ausführlich dargelegt, wie „nach dem der Tagebau Welzow gefallen war“, “das Kraftwerk gestürmt wurde“, sowie die „Kohlebunker zeitweise besetzt wurden“. Für ihn war es wohl das größte Gefecht, das er in der letzten Jahren zu kämpfen hatte. Er schien den „Andersdenkenden“ Respekt zu zollen und zeigte sich beeindruckt von der Proteststrategie, welche auf ihn einen „generalstabsmäßig geplant[en]“ Eindruck machte. Nachdem er sich letzte Woche ausführlich über das allgemeine Geschehen ausgelassen hatte, allerdings sein Logbuch nicht dabei hatte, in welchem die Ereignisse aus Vattenfalls Sicht minituös niedergeschrieben waren, wurde dies heute nachgeholt. Die für die Verhandlung relevante Frage, was den Kohlezugführer, der die Gleisblockade meldete, zum stoppen bewogen hat, konnte so immerhin gelöst werden. Es stünden Menschen am Gleis und signalisierten ihm, dass er anhalten solle. Die Geschäftsführung von Vattenfall hat den Zugbetrieb daraufhin gestoppt und die Kraftwerksleistung gedrosselt. Zudem wurde notiert, dass das Gleis von 18 bis 00.30 blockiert war. Am Ende der Vernehmung, am zweiten Prozesstag, nach über anderthalb Stunden, tauchte bei der Betrachtung von Fotos plötzlich ein Notgleis auf, das zum Kohlebunker führte. Das hatte Herr Hase in seinen Erläuterungen bisher wohl übersehen oder wohlwissend nicht erwähnt. Auf Nachfrage der Verteidigung hätte dieses „theoretisch genutzt werden können“. Letztendlich war es also eine rein firmenpolitische Entscheidung die Räumung des Gleises durch die Polizei anzufordern. Diese war ja da und das schien wohl trotz der Existenz des Ersatzgleises gerne bereit zu dieser Zwangsmaßnahme. Dieser Sachverhalt wurde durch den zweiten Zeugen bestätigt, welcher als „Polizeiführer“ am Abend der Blockaden im Einsatz war. Vattenfall hätte die Räumung des Gleises gewünscht. Da die Anforderung von Spezialwerkzeug und erfahrener Polizeikräfte zur sicheren Öffnung der Lockons zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte, entschieden sich die Cops dafür das Gleis auszuräumen und die Aktivisten samt der Lockons unter der Schiene hindurch zu ziehen, welche schließlich in Weisswasser von der dortigen Feuerwehr (welche schon Erfahrung durch die F60 Besetzung gehabt hätten) geöffnet wurden. Ungeklärt blieb die Frage warum Vattenfall die Polizei erst um 20 Uhr informierte, obwohl die Blockade bereits gegen 18 Uhr festgestellt wurde. Es gab wohl Irritationen darüber, welche Polizeieinheit nun verantwortlich sei. Während der Großteil der Ende Gelände Aktionen auf brandenburgischem Boden stattfanden, war die Gleisblockade auf sächsischer Seite. Vor Ort angebrachten Schilder, welche die Landesgrenze verdeutlichen sollten, waren wohl schwer zu interpretieren, sodass erst die Auswertung der Geodaten die Zuständigkeitsprobleme lösen konnte und schießlich die Polizei in Görlitz verständigt wurde. Der Dritte Zeuge war ebenfalls ein Ermittlungsbeamter aus Görlitz. Die Ankündigungen des Ende Gelände Massenprotests hätten bereits im Februar zu polizeilichen Planungen geführt. Bis zur Besetzung von Welzow schienen die Beamten aber völlig im Dunkeln zu tappen. Nachdem am 7.3. die Waldbesetzung mit dem Errichten von drei Baumplatteaus in alten Eichenbäumen, welche leider mittlerweile abgeholzt wurden, begann, wiesen Vattenfallmitarbeiter*innen die Besetzer*innen zwar darauf hin, dass das Gebiet gefährlich sei und sie es doch verlassen sollten. Offensichtlich wollte Vattenfall jedoch abwarten, wie sich die Situation entwickelte. Währendessen haben sie kontinuierlich Infos an die Cops weitergegeben, welche ihrerseits „Aufklärungseinsätze“ durchgeführten. Die Görlitzer Polizei hätte sich damals in einem Arbeitstreffen mit ihren Kolleg*innen in Aachen ausgetauscht und sich dort gruselige Geschichten angehört, die diese nachhaltig schockierten. Ca. 800 Straftaten seien angezeigt worden, verschwiegen wurde jedoch, dass sich daraus lediglich 4 Verurteilungen ergaben. Jedenfalls legten die Kolleg*innen den Görlitzer Beamt*innen nahe, zu verhindern, dass es eine ähnliche Entwicklung wie im Hambacher Forst gebe. Die Staatsanwaltschaft hatte den Vorstoß der Cops wegen Hausfriedensbruch vorzugehen abgelehnt, da das Gebiet nicht umfriedet war. Vattenfall hatte lediglich ein paar mehr Schilder angebracht und die Wege für Fahrzeuge unpassierbar gemacht. Obwohl die Cops über die fehlende Umfriedung informiert waren, beantragten sie einen Räumungstitel mit dem Verdacht auf Hausfriedensbruch. Die Verteidigung stellte heraus, dass der Zeuge dem zuständigen Ermittlungsrichter trotz gegenteiliger Einschätzung der Staatsanwaltschaft den Vorwurf des schweren Hausfriedensbruchs präsentierte und damit zur langen Untersuchungshaft des Angeklagten beitrug. Tatsächlich war allen Beteiligten bekannt, dass das besetzte Gelände nicht umfriedet war, und Hausfriedensbruch damit nicht vorliegen kann. Clumsys konnte sich bei der Räumung zwar ausweisen, allerdings entschieden die Beamten das er wohl eigentlich im Hambacher Forst lebte und deshalb in Untersuchungshaft zu nehmen sei. Nach der Aufschlüsselung all dieser Ereignisse, war es der Staatsanwaltschaft wichtig Passagen aus einem Brief von Clumsy verlesen zu lassen, um dessen ideologische Gesinnung zu verdeutlichen. So schrieb Clumsy neben dem wichtigen Hinweis „esst immer schön euer Gemüse auf“, dass der Kampf draußen weitergehe – eindeutiges Indiz für seine Unverbesserlichkeit. Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft war dann ein erwartungsgemäß staatstragender Vortrag über den Kern und das Wesen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, die Meinungsfreiheit und die Möglichkeit mit Demos auf die Willensbildung einzuwirken. Dann war es ihm noch wichtig darauf zu verweisen das es gelte Zustande „wie vor 70 Jahren“ zu verhindern. Was das mit dem Prozess zu tun hatte, blieb uns leider schleierhaft. Der Rechtsrahmen zur Einwirkung auf die Meinungsbildung schließt friedlichen Protest und zivilen Ungehorsam nach Ansicht des Staatsanwalts jedoch offensichtlich nicht ein. Dieser sah den Betriebsablauf durch die Gleisblockade empfindlich gestört, obwohl es ein ungenutztes Ersatzgleis gab, und bewertete den passiven Widerstand als Gewalteinwirkung. Er forderte Clumsy wegen Störung öffentlicher Betriebe in Tateinheit mit Nötigung schuldig zu sprechen und forderte 150 Tagessätze a 15€. Den Vorwurf des schweren Hausfriedensbruch bei der LAUtonomiabesetzung ließ die Staatsanwaltschaft fallen. Danach erklärte Clumsys Anwalt warum er weder den Tatbestand der Nötigung noch der Störung öffentlicher Betriebe erfüllt sieht und nahm den Paragrafen im einzelnen auseinander. Er legte dar, dass keines Tatbestandsmerkmale für diesen Paragrafen erfüllt werde. Er verwies darauf, dass einfach kein Straftatbestand für die vorliegenden Anschuldigungen gebe. Ebenso betonte er die politische Natur des Prozesses und warf die Frage auf, wer eigentlich wem schadet und in welchen strafrechtlichen Rahmen das verhandelt wird. Vattenfall verpeste die Luft und schade uns allen, alle könnten also solange agieren wie es nicht strafbar ist. Die UN gehe als Folge der derzeitige Klimapolitik von 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050 aus. Die Verteidigung betonte das eine normale Demonstration, keine wirksame Einflussnahme erlaubt hätte. Der Richter folgte leider nicht dieser Auffassung, sondern der der Staatsanwaltschaft und verurteilte Clumsy zu 120 mal 13€ Tagessätze, von denen die Tage, die er im Knast sitzen musste abgezogen werden. Auf die rechtlichen Einwände der Verteidigung wurde im Grunde nicht eingegangen und die Forderung des Staatsanwaltes nur minimal gesenkt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da noch Berufung eingelegt werden kann. Da wir uns in Sachsen befinden ist es wohl empfehlenswert in Berufung zu gehen, nicht das es ein Verständnis für Klimaaktivismus zu erwarten wäre, allerdings gibt es die Hoffnung das im Landgericht durchaus eine andere rechtliche Bewertung möglich ist. Bei der Prozessbeobachtung wurde durch das strategische Aussageverhalten der Vattenfallmitarbeiter*innen und Polizist*innen, wie das Verschweigen entscheidender Details, sowie durch die zweifelhafte Anklage der Staatsanwaltschaft sichtbar, wie der deutsche Staat und ein multinationaler Konzern gut koordiniert gegen politische Gegner*innen vorgehen, um legitimen Protest zu verfolgen.