Brief #2 von Clumsy

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21.Juni 2016, JVA Görlitz

Hallo, all ihr lieben Menschen da draußen!

Fast fünf Wochen sind nun seit meiner Verhaftung vergangen und gestern hab ich endlich zum ersten Mal Post bekommen. Dafür hat auf einmal ein wahrer Briefregen eingesetzt, gestern fünf und heute sogar acht Briefe.

Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, alle zu beantworten, aber wenn das so weitergeht, komm ich gar nicht mehr hinterher. Das soll euch jetzt natürlich nicht davon abhalten mit weiterhin zu schreiben, ganz im Gegenteil. Nur nehmt's mir bitte nicht übel, falls ihr auf einen eurer Briefe keine Antwort kriegt.

Dafür schreibe ich jetzt mal diese Zeilen für euch alle.

Also erst mal ganz fettes Danke für all die aufmunternden, lustigen und ermutigenden Dinge, die ihr mir so schickt vor allem die vielen schönen Bilder, mit denen ich meine karge Zelle bunt tapezieren kann und die mich ständig daran erinnern, dass es da draußen liebe, solidarische Menschen gibt, die in Gedanken bei mir sind.

Es ist schwer in Worte zu fassen, wie gut mir das in dieser Situation tut. Denn das Schlimme hier sind nicht unbedingt die Lebensbedingungen im Knast, verglichen mit dem ***-gewahrsam, den ja viele von uns gewöhnt sind, ist es die reinste Jugendherberge mit Vollpension.

Das was wirklich schmerzt, ist die ständige Trennung von geliebten Menschen da draußen und nicht zu wissen, wie es euch geht. Und da sind eure Briefe wie Risse, die plötzlich überall in den Mauern, die mich isolieren und von euch trennen sollen, auftauchen und das gesamte repressive Knastkonstrukt zum Wackeln bringen.

Im Moment bin ich echt total aufgeregt und glücklich, hätte nie gedacht, dass ein paar Briefe so eine krasse Wirkung auf mich haben könnten, aber damit gebt ihr mir die Kraft, das alles hier mit einem Lachen durchzustehen.

Tja, ansonsten gibt’s von meiner Seite nicht wirklich was Neues, das Leben im Knast ist ja auf Dauer doch recht monoton. Die meiste Zeit hier schlag ich mit lesen tot. Hab doch ein paar gute Bücher in der Knastbibliothek gefunden.

Momentan lese ich die „Abenteuer“ des braven Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Haśek. Da geht’s um einen Typen, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, Strassenköter-Promenadenmischungen als Rassehunde zu überteuerten Preisen an naive Polizisten zu verkaufen und als der 1. Weltkrieg ausbricht, eingezogen werden soll. Natürlich hat er da nicht sonderlich Bock drauf und versucht auf alle möglichen Arten sich davor zu drücken, wobei er mit seiner Bauernschläue ständig sämtliche Autoritäten, die ihm im Weg stehen untergräbt – wer's noch nicht kennt, ich kann's wärmstens empfehlen.

Mein Papa har mir als Kind immer daraus vorgelesen und seht wohin es mich gebracht hat:) Aber genug von Buch-Rezensionen.

Abgesehen vom Lesen mach ich gerade etwa eine Stunde pro Tag Sport und seit letzter Woche bin ich auch im Näh- und Bastelkurs. Diese Woche wollen wir dort Stencils für Aufnäher machen, das geht aber auch sicher öfter. Falls ihr also coole Motive habt, könnt ihr sie mir schicken und ich mach euch originale Clumsy's-Knast-Patches.

Ansonsten freu ich mich natürlich über Briefe, Kreuzworträtsel, Fotos (vor allem von Baumhäusern, vermummten Menschen und niedlichen Tierbabys), Seile, Feilen und Pappeinhörner.

Ach ja, die Alufolie für den Hut durfte ich leider nicht haben, aber das war ja zu erwarten, schließlich hätten sie dann nicht mehr die totale Kontrolle.

Also hoffentlich bis bald und haltet die Ohren steif.

Mit Wut und Liebe,
Clumsy